Kriterien für eine Beteiligung aller Arbeitnehmer am Trinkgeld der Gastronomie

Gastronomiebetriebe, die für sich eine Verteilung angefallener Trinkgelder unter einigen oder Dieser Weg erfordert Mut, weil er von der der allgemeinen Verkehrsauffassung der Gastronomie abweicht und von vielen Servicemitarbeitern als ungerecht empfunden wird. Der Transparenz von Kriterien, nach denen eine solche Verteilung vorgenommen wird, kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Nur ein Modell, das zumindest in sich Gerechtigkeit demonstriert, wird letztlich vielleicht akzeptiert.

Grundlagen einer gerechten Trinkgeldaufteilung

Die rechtlichen Grundlagen, unter denen eine Verteilung eingenommener Trinkgelder in der Gastronomie allenfalls möglich ist, wurden im  ersten Vorläuferartikel dieser Serie bereits diskutiert. Es muss entweder eine freiwillige Betriebsvereinbarung der Mitarbeiter vorliegen und/oder die hier zu diskutierende Regelung wird vom Arbeitgeber bereits bei der Einstellung zum Bestandteil des Arbeitsvertrags gemacht. In beiden Fällen sollte er seine eigenen Finger von der Trinkgeldkasse fern halten. Trinkgeld gehört jedenfalls den Arbeitnehmern, fraglich ist höchstens, wem und zu welchem Anteil.

Außerdem wurde  bereits diskutiert, ob eine Aufteilung der Trinkgelder auf weitere Arbeitnehmer außerhalb des Service unter dem Gesichtspunkt der Motivation der Gesamtbelegschaft Sinn macht. Das nämlich wäre der Hauptgrund, warum sich der Unternehmer seinerseits überhaupt dem Stress unterwerfen sollte, eine Trinkgeldverteilung durchzusetzen.

Mindestens muss der Unruhefaktor einer solchen Regelung möglichst gering gehalten werden. Unruhe kann entstehen einerseits dadurch, dass der Einzelne seinen individuellen Leistungsbeitrag nicht angemessen belohnt sieht. Andererseits könnten die vereinbarten Kriterien so kompliziert gestaltet sein, dass der einzelne seinen Leistungsbeitrag darin gar nicht wieder finden kann. Auch das in der Gastronomie verbreitete Misstrauen gegenüber der Ehrlichkeit von Kollegen und Chefs kann sich einem derart Gemeinsamkeit verlangenden Modell vehement widersetzen.

Was also ist zu beachten, wenn ein als gerecht empfundenes Modell zur Trinkgeldverteilung eingerichtet werden soll? Eine Verteilungsregel sollte einerseits den Leistungsbeitrag sowohl der einzelnen Person wie auch des Betriebsteils, in dem sie beschäftigt ist, angemessen widerspiegeln. Zugleich aber so einfach gestaltet sein, dass jeder sie ohne Schwierigkeiten nach- oder vorausberechnen kann. Dieses Gleichgewicht zu finden, ist nicht so einfach.

Welche Kriterien können für eine gerechte Trinkgeldverteilung herangezogen werden?

Angesichts der Vielzahl an unterschiedlichsten Betriebsformen der Gastronomie kann diese Frage sicher nicht pauschal beantwortet werden. Letztlich wird jeder Betrieb seinen eigenen, ihm angemessenen Weg finden müssen, was ja auch schon eine juristische Vorraussetzung ist. Grundsätzlich stellen sich zumindest aber immer dieselben Fragen:

  • Wer ist in welchem Umfang beteiligt

    Als erste Hauptfrage muss naturgemäß beantwortet werden, wem überhaupt Zugang gewährt wird zum Trinkgeldtopf, dem „kleinen Tronc“. Der Service als direkter Empfänger gehört ganz sicher dazu, die am Produktionsprozess unmittelbar Beteiligten wie Küche und Schenke/Bar werden meistens einbezogen werden. Gehört aber die Putzfrau auch dazu oder der Hausmeister? In größeren Betrieben könnten auch Einkäufer, Marketingleute oder Buchhalter Einfluss haben auf die Betriebsqualität und –frequenz. Wie ist es mit dem mitarbeitenden Kleinunternehmer selbst, der als Arbeitsfaktor wie Kellner oder Koch auftritt und nicht unerheblich am Gesamterfolg Anteil haben wird? (Der Umstand, dass dieser seine Trinkgelder versteuern müsste, zeigt zwar, dass der Gesetzgeber hier einen Unterschied macht. Für die Frage der Gerechtigkeit spielt sie aber zunächst keine Rolle).

    Gerade über die Bedeutung der Küche am Betriebserfolg gegenüber dem Service wird in der Gastronomie mit besonderer Inbrunst gestritten. Tatsächlich wird dieser Schwerpunkt in einer Kneipe, die Würstchen oder Convenience-Baguettes anbietet, anders aussehen als in einem Drei-Sterne-Restaurant. Für die meisten Betriebe, die auf ein ambitioniertes Speisenangebot Wert legen, wird aber abgesehen von weiteren möglichen Empfängern eine hälftige Aufteilung zwischen Küche und Service als angemessen akzeptiert werden können.

    Ein Gesichtspunkt, der früher bei Tronc-Bezahlungen noch zum Tragen kam, ist jedenfalls Trinkgelder betreffend mittlerweile weder zeitgemäß noch als gerecht vermittelbar, das Senioritätsprinzip. Einem hohen Dienstalter oder Rang (Oberkellner, Chefkoch) einen bevorzugten Zugriff auf allgemeines Trinkgeld zu gewähren, wird kaum noch vermittelbar sein.

  • Wie wird der Leistungsanteil des Mitarbeiters berechnet

    Eine zweite Frage stellt sich dann, wie dieser Anteil personenbezogen berechnet wird. Zählt die Anzahl geleisteter Arbeitsschichten, ist die geleistete Arbeitszeit nach Stunden von Belang oder etwa der jeweils erreichte Umsatz. In einem Kneipen- oder Barbetrieb, in dem die Schichten des Servicepersonals noch lange nach Küchenschluss weiterlaufen, wird diese Frage anders bewertet werden als in einem Drei-Sterne-Lokal, in dem das Küchenpersonal schon Stunden mit Vorbereitung verbracht hat, bevor der erste Servicemitarbeiter zum Dienst aufläuft. Die Frage der Umsatzhöhe hat in manchen Betrieben auch mit der Diensteinteilung zu tun und muss daher unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten kein individuelles Leistungsmerkmal sein.

    Wichtig ist aber, dass das herangezogene Kriterium zu beziffern ist und damit für jedermann nachvollziehbar wird. Die besonders umsichtige Bedienung eines wichtigen Stammgastes oder die exzellente Formulierung der neuen Tageskarte mögen individuelle Leistungskriterien sein, ihre neutrale Bewertung im Vergleich zu anderen Leistungen ist aber kaum möglich. Auch haben zwar messbare Kriterien hier nichts verloren, die die Belegschaft betreffen können, aber eigentlich der Betriebssanktion unterliegen, wie Pünktlichkeit, Fehlzeiten etc.

  • Wie und wann wird ausgeschüttet

    Ferner darf die Regel nicht zu kompliziert gestaltet sein und sollte daher zeitnah verwaltet werden können. Hier lauert nämlich die nächste Frage: Wird das Trinkgeld täglich ausgeschüttet, wöchentlich oder monatlich. Je enger der Zeitrahmen, desto größer die Zufallskomponente. Je weiter der Zeitrahmen, desto größer die Gerechtigkeit einer allgemeinen Leistung gegenüber, aber auch desto geringer der Bezug zur tatsächlichen Einzelleistung. Jedem Beteiligten muss der Zugang zu seinem Anteil auch gewährt werden, er muss ihn also auch innerbetrieblich erleben. Eine Ausschüttung jeweils zur Weihnachtsfeier wird dem nicht immer gerecht werden.

    Die Kriterien dürfen auch nicht zu kompliziert gestaltet sein, nicht nur wegen der Nachvollziehbarkeit. Es macht wenig Sinn, zur Verteilung von 100 € Trinkgeld wegen eines immensen Rechenaufwands drei Arbeitsstunden aufwenden zu müssen. Und ein Arbeitnehmer, der am Monatsende 3,02 € aus einer Beteiligung ausbezahlt bekommt, obwohl er sich als betriebswichtigen Faktor betrachten darf, wird dies eher als Kaugummi denn als Leistungsförderung ansehen. Alles dazwischen kann durchaus Sinn machen.

    Drittens ist die Frage der Zurechenbarkeit von Belang. Trinkgeld ist, auch wenn es aufgeteilt wird, immer noch eine zusätzliches Entgelt des Gastes für tatsächlich erbrachte Leistung. Eine Zuteilung an abwesende Mitarbeiter, z.B. aus Urlaubs- oder Krankheitsgründen, muss damit in der Regel ausgeschlossen werden.

 
Diese Anhaltspunkte ziehen nur einen ersten, groben Rahmen auf, nach welchen Kriterien Trinkgelder auf die Betriebsangehörigen und auch auf welche Betriebsbereiche verteilt werden können. Dies wird in jedem Betrieb anders sein und auch von der Mitarbeiterzahl sowie der Höhe des erwarteten Trinkgelds abhängig sein. Je mehr aber Teamgeist und zusammenwirkendes Arbeiten als gemeinsamer Erfolgsfaktor angesehen werden, desto mehr werden individuelle Leistungsfaktoren als Berechnungsgrundlage in den Hintergrund treten. Während der Koch im Normalfall der miserabel gereinigten Gästetoilette wenig Interesse entgegenbringen wird, ändert sich dies schnell, wenn das verschuldende Putzpersonal an „seinem“ Trinkgeld beteiligt ist.

Dies kann natürlich auch zu einer unerwünschten „Blockwartmentalität“ und einem Klima gegenseitiger Überwachung führen, wenn das Grundklima nicht stimmt. Soweit die Grundregeln aber allgemein akzeptiert sind, steigt in der Regel auch die Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung und Aushilfe.

Punktekatalog als Verbindung verschiedener Kriterien zur Trinkgeldverteilung

Meistens werden die Arbeitszeit oder Leistungskriterien wie der Tagesumsatz die Hauptrolle als Verteilungskriterium spielen. Eine technisch einfache Möglichkeit, diese Methoden untereinander oder auch mit anderen zu verbinden oder abgestuft zu gewichten, besteht in der Vergabe von Leistungspunkten. So könnte beispielsweise jeder Mitarbeiter einer Schicht einen Leistungspunkt pro Schicht und nochmals einen für jede angefangene 100 € Umsatzleistung erhalten. Dies würde das Leistungskriterium betonen, umgekehrt wäre es auch möglich, einen Punkt für angefangene 1000 € Umsatz und jeweils einen pro begonnene Arbeitsstunde zu bewerten. Eine solche Gewichtung lässt sich problemlos übertragen auf die angesprochene Bewertung von Küche und Service, indem entweder jedem Bereich dieselbe Punktzahl pro Schicht/Stunde zugebilligt wird oder eben eine doppelte für bspw. den Service.

Zu einem beliebigen Stichtag werden dann die Punkte aller Beteiligten addiert und die Trinkgeldsumme durch diesen Betrag geteilt, was den aktuellen Wert eines Punktes ergibt. Punktwert mal Summe auf dem individuellen Punktekonto ergibt dann den persönlichen Auszahlungsbetrag.

Nach dieser Methode könnten verschiedene Verfahren problemlos kombiniert werden und auch die Auszahlungszeiträume lassen sich ziemlich flexibel gestalten. Jedem Mitarbeiter kann die objektive Richtigkeit seines oder eines anderen Punktekontos dokumentiert werden. Kein Unternehmer wird es gerne sehen, Umsätze als Verteilungskriterium sozusagen veröffentlicht zu sehen. Gegen deren grobe Verschlüsselung in Punkte dagegen ist wenig einzuwenden.

Alternativ oder zusätzlich können auch weitere „softe“ Kriterien eingebaut werden, die im oben dargestellten grundsätzlichen Katalog wegen fehlender Objektivität abgelehnt wurden:

Spezielle Leistungskriterien

Der Leistungsbereitschaft und –beteiligung könnte in Form von Sonderpunkten besonderer Raum gegeben werden. Jeder Mitarbeiter darf oder muss beispielsweise pro Zeitraum fünf Extrapunkte an Kollegen vergeben, die ihm besonders aufgefallen sind. Auf ähnliche Weise könnten auch Gästebewertungen zur Geltung kommen. Wie bei Vereinen oder Stammtischen auch üblich, können die Gesamtbelegschaft beeinträchtigende Fehlleistungen wie Unpünktlichkeit oder andere Regelverletzungen mit Strafpunkten belegt werden.

Ebenso wären natürlich Extrapunkte für besondere Aktionsleistungen denkbar, beispielsweise als Anerkennung für besonders aktiven Dessert-, Kaffeeverkauf, anderer Zusatzleistungen oder für Verbesserungsvorschläge. Hier aber beginnt bereits wieder die Grauzone zwischen einem betrieblich veranlassten Belohnungssystem und der Verteilung von Trinkgeld als Serviceanerkennung der Gäste. Auch wenn eine aktive Gestaltung dieser Methoden von Unternehmerseite in Ausnahmefällen zulässig sein kann, sollten beide Systeme nicht vermischt werden. Werden sie mit rein betrieblich motivierten Leistungsprämien verknüpft oder gar damit verwechselt, verlieren sie den Charakter der zusätzlichen Anerkennung von Seiten des Gastes und geraten damit auch juristisch in die Nähe einer verdeckten Lohnzahlung.

Trinkgeldaufteilung bleibt eine Frage der Einstellung

Wie die Gesamtschau der drei Artikel zeigt, kann eine vereinbarte Trinkgeldverteilung zu einer Vertiefung des Gemeinschaftsgefühls innerhalb der Belegschaft führen, birgt aber ebenso ein ständiges Risiko für Unfrieden und eine Angriffsfläche für Nörgler.

Ich persönlich habe mit solchen Methoden gute Erfahrungen gemacht, allerdings auch tragfähige Grundlöhne garantiert, die das Trinkgeld als realen Entgeltfaktor verdrängt haben. Das latent in der Gastronomie immer noch vorhandene Ungleichgewicht in der Bezahlung von Service- gegenüber Küchenleistungen wird durch solche Systeme abgemildert oder gar aufgehoben, und zu diesem Mut kann ich jeden Kollegen nur beglückwünschen. In vielen Fällen entbehrt dieses Ungleichgewicht jeder Grundlage, im Gegenteil finden sich in den im Vergleich unterbezahlten Küchen oft die ausgebildeten Kräfte. Angesichts der vielen Fallstricke, scheinbar unvereinbaren Gegensätze und der immer noch bestimmenden Verkehrsauffassung stellt die Verteilung der Trinkgelder jedoch ein hochriskantes heißes Eisen dar. Ich kann daher jeden Unternehmer verstehen, der lieber die Finger davon lässt.

Trinkgeld - Weiterführende Gedanken

Due Frage, inwieweit Trinkgeld als Motivatonsfaktor überhaupt eine Rolle spielen kann, beschäftigt mich im Artikel Trinkgeld als Motivationsfaktor. Unter jeder Konstellation sind natürlich die rechtlichen Grundlagen zu beachten. Sollten Sie ein Trinkgeldverteilungsmodell einführen wollen und sich unsicher fühlen, empfehle ich Ihnen mein allgemeines Beratungsangebot in seiner ziemlich fairen und erschwinglichen Grundausstattung.

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4 Responses to “Kann Trinkgeld gerecht verteilt werden?”
  1. Sascha sagt:

    Also bei mir im Betrieb verläuft das so, das wir das geld sammeln.. Und dann wird ein Teil in die Küche gegeben und ein Teil bekommt der Service… Unter denen wird das nochmal geteilt.. Ist doch egal ob es nun nur kleine Eurobeträge sind.. was zählt ist das es gerecht aufgeteilt wird.

  2. Britta sagt:

    Ich bräuchte Ihre / Euro Hilfe:

    Ich benötige dringend ein Muster (Formulierungsvorschlag) für eine Trinkgeldregelung. Diese Trinkgeldregelung soll alle Mitarbeiter zu gleichen Teilen berechtigen (inklusive Küchenpersonal).

    Ich wäre sehr, sehr dankbar wenn mir jemand weiterhelfen könnte. Im Internet finde ich leider nichts.

  3. martini sagt:

    Die einfachste Lösung ist ein schriftlicher Zusatz zum Arbeitsvertrag, den alle, auch zukünftige Mitarbeiter unterschreiben. Der sollte folgende Punkte erfassen:
    1. Im betrieb XY stehen die von Gästen erhaltenen Trinkgelder nicht dem annehmenden Mitarbeiter zu, sondern werden zu gleichen Teilen unter allen Mitarbeitern aufgeteilt. Zu diesem Zweck werden sie bei der Abrechnung einer separaten Kasse zugeführt.
    2. Wer führt die Trinkgeldkasse?
    3. Wann wird von wem der anteilige Trinkgeldbetrag berechnet und ausgezahlt
    Bei gutwiiligem Einverständnis sollte das genügen.

    Für weiteren Klärungsbedarf schick mir einfach eure Grundvorstellung oder einen Entwurf per email (s. Impressum). So lange ich nur ein paar Zeilen schreiben muss, kost es nix.

  4. Panika Kurz sagt:

    Viel geschrieben. Dieser Blog ist einmalig. Auch die anderen Texte sind erfolgreich. Ihr Gast.

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