Neues Urteil zum Thema Trinkgeld

Ein sehr situationsnahes Urteil vom LAG Rheinland-Pfalz 10 Sa 483/10 vom 9.12.2010:

Mittlerweile existiert ein hochinstanzliches und rechtskräftiges Urteil des LAG Rheinland-Pfalz, das sich erstmals mit einigen Trinkgeldfragen der Gastronomie beschäftigt hat. Ein Teilaspekt der von mir ausführlich behandelten Frage „Wem gehört das Trinkgeld?“ wird dort behandelt. Im Gegensatz zu einigen Kommentaren von anderer Seite bin ich allerdings nicht der Ansicht, dieses Urteil würde die Praxis einer mittlerweile steigenden Anzahl von Betrieben unterbinden, erwirtschaftete Trinkgelder unter allen Personalen zu verteilen. Allerdings sehr wohl jetzt eindeutig rechtswidrig ist diesem Urteil zufolge der durch den Chef einseitig angeordnete Übergang zu einer solchen Regelung, wenn zuvor das Servicepersonal seine Trinkgelder behalten durfte.

Zu urteilen hatte das Landesarbeitsgericht im Fall eines Kellners, der seit über 17 Jahren im selben Betrieb beschäftigt war. Er kassierte seine Umsätze selbst und erwirtschaftete unwidersprochen dadurch Trinkgelder von etwa 500 €/Monat. Nach einem aktuell stattgefundenen Betriebsübergang wechselte der neue Inhaber dieses Abrechnungssystem und untersagte dem Kellner das eigene Inkasso am Gast. Das Inkasso solle zukünftig durch die Geschäftsleitung erfolgen, die Trinkgelder würden dann durch diese auf alle Personale verteilt.

Der Kellner wehrte sich gegen diese Anordnung, kritisierte (nach Meinung des LAG auch zu Recht) die nicht nachvollziehbare Art und Weise, nach der die Trinkgelder verteilt würden. Schließlich kritisierte er die neue Praxis auch öffentlich vor Gästen, woraufhin er zunächst abgemahnt und dann gekündigt wurde. Gegen die Kündigung hatte er geklagt und erst vor dem AG Kaiserslautern und dann vor dem LAG Recht bekommen. Abmahnung und Kündigung sind unwirksam.

In der Urteilsbegründung gibt es einige interessante Passagen zu lesen, die auf viele der zu meinen Trinkgeld-Artikeln eingegangenen Fragen und Kommentare zutreffen. Auch wenn solche Urteile immer Einzelfallentscheidungen sind und daher nicht zu weit strapaziert werden sollten, gibt es doch klare Anhaltspunkte zur Rechtslage in einigen Fragen:

Das einseitige Einbehalten von Trinkgeldern durch die Geschäftsleitung ist rechtswidrig, zumindest wenn diese bisher vom Service einbehalten werden durften

Das gilt auch dann, wenn dadurch nachträglich eine Regelung eingeführt werden soll, nach der diese Gelder auf alle Personale verteilt werden sollen, selbst wenn dies gutwillig gemeint sein sollte.

Durch diese Trinkgelder erzielt der Kläger - nach seinem unbestrittenen Vorbringen - erhebliche Netto-Einkünfte in Höhe von monatlich € 500,00, die ihm der Beklagte nicht einseitig entziehen darf.

Erhält das Bedienungspersonal vom Gast neben dem Rechnungsbetrag freiwillig ein Trinkgeld, so steht ihm dieses unmittelbar zu (vgl. ErfK/ Preis, 11. Aufl., § 611 BGB Rn. 511). Der Beklagte ist deshalb nicht berechtigt, einseitig zu bestimmen, dass das Trinkgeld von der Geschäftsleitung zu kassieren und anschließend unter dem Personal zu verteilen ist. (LAG Rheinland-Pfalz 10 Sa 483/10 vom 9.12.2010)

Es geht also um den Entzug einer bisher vorhandenen Möglichkeit, über Trinkgelder einen durchaus erheblichen Zusatzverdienst durch Trinkgelder zu realisieren. Zur Frage der Rechtsgültigkeit entsprechender Vereinbarungen vor der (Neu-)Einstellung siehe unten.

Dabei stellt das LAG ausdrücklich nicht auf den Begriff der betrieblichen Übung ab, es geht also nicht um die Zeitspanne (hier 17 Jahre), wie lange eine Servicekraft bereits faktisch Trinkgelder bezogen und einbehalten hat,  sondern dass dies der Fall war. In diesem Fall darf sie auch weiterhin mit diesem Verdienst rechnen und dieser darf ihr nicht durch den Arbeitgeber entzogen werden. Das LAG hält insoweit auch bereits die in diesem Fall durch die Geschäftsleitung angeordnete Regelung des Inkassoverbots für Servicekräfte für rechtswidrig.

Wie kann sich der Einzelne gegen den Einbehalt von Trinkgeldern wehren?

Ich bin kein Jurist und kann daher nur meine persönlichen Schlüsse aus diesem Urteil ziehen. Alle Äußerungen sollten daher nicht fälschlich als Empfehlung oder gesicherter Ratschlag missverstanden werden. Für viele Fragen scheint sich aber doch praktische Hilfe zu ergeben.

Viele Betroffene scheuen nicht ganz zu Unrecht den Gang zum Gericht, etwa um die Herausgabe von Trinkgeldern einzufordern, die vom Arbeitgeber einbehalten wurden, obwohl dies ein gangbarer Weg wäre. Soweit aber das LAG dem Arbeitgeber ausdrücklich untersagt, durch Regelungen das Servicepersonal an der Entgegennahme von Trinkgeld zu hindern, bedeutet das zumindest, dass die Bedienung ein persönlich und separat empfangenes Trinkgeld behalten darf, selbst wenn nicht sie, sondern die Geschäftsleitung die Rechnung kassiert. Wie der Fall des betroffenen Kellners zeigt, kann auch ein entsprechender Hinweis an die Gäste nicht schon daher als Störung des Betriebsfriedens und damit Kündigungsgrund gewertet werden. Auch die in solchen Fällen oft geäußerte Drohung, die Entnahme von empfangenen Trinkgeldern aus der Kasse als Unterschlagung zu werten und anzuzeigen, stellt sich jetzt in einem anderen Licht dar (wird aber hier nicht behandelt).

In jedem Fall stärkt das Urteil allen von einer plötzlichen und einseitigen Änderung der Trinkgeldgepflogenheiten betroffenen Servicemitarbeitern den Rücken. Sie dürfen sich wehren und wohl auch trotz entsprechender (evtl. rechtswidriger) Regelungen empfangene Gelder behalten. Wenn durch solches Verhalten die Vereinnahmung der erwünschten Trinkgelder dennoch zu erreichen ist, können sie das auch tun und einer angedrohten Kündigung relativ gelassen entgegensehen. Der Casus Knacksus, um den es ja im Hintergrund meistens geht, nämlich der vermutlich trotz gewonnener Kündigungsschutzklage dennoch verlorene Arbeitsplatz wird so immerhin durch die Gehaltsfortzahlung und eine evtl. Abfindung versüßt.

Zu beachten ist allerdings, dass das LAG die grundsätzliche Möglichkeit für Arbeitgeber, solche Fragen durch ihr Direktionsrecht zu regeln, nicht verneint hat. In diesem Fall waren die Trinkgelder für den Kellner ein über lange Zeit gesicherter und erwartbarer Einkommensbestandteil. Es hat also nicht über einen neu eingestellten Kellner geurteilt. Die Frage, ob der persönliche Zugriff auf Trinkgelder auch zu erstreiten wäre, weil sie ja nach der Verkehrsanschauung in der Gastronomie durchaus zu erwarten sind, dürfte nach wie vor strittig sein.

Regelung in Arbeitsverträgen und sonstigen Vereinbarungen bleibt vermutlich möglich

Unklar ist nach wie vor, ob die in vielen Betrieben praktizierten Regelungen, nach der erwirtschaftete Trinkgelder auf alle Personale verteilt werden, rechtsgültig ist. Nach meiner Meinung ist das möglich. Zu dieser Frage macht das angesprochene Urteil jedenfalls keine Aussagen. Es stellt nur klar, dass diese nicht einseitig und nachträglich von der Geschäftsleitung verfügt werden dürfen.

Fast immer wird eine Grunddefinition des BFH zum Thema Trinkgeld herangezogen, um solche Fragen zu klären:

Dem Begriff des Trinkgeldes ist als Zeichen der besonderen Honorierung einer Dienstleistung über das vereinbarte Entgelt hinaus ein Mindestmaß an persönlicher Beziehung zwischen Trinkgeldgeber und Trinkgeldnehmer grundsätzlich immanent. Charakteristisch dafür ist, dass in einem nicht unbedingt rechtlichen, jedenfalls aber tatsächlichen Sinne Geldfluss und honorierte Leistung korrespondierend einander gegenüberstehen (BFH Urteil vom 18.12.2008 - VI R 49/06)

Befürworter einer „strengen Linie“ leiten daraus ab, dass Trinkgeld allein dem direkten Empfänger zustünde, weil der ja die persönliche Beziehung repräsentiert. Dabei wird aber verkannt, dass der BFH hier den Begriff in steuerlicher Hinsicht von anderen Geldflüssen abgrenzt wie z.B. dem Inkasso der Rechnung selbst. Als Honorierung der Dienstleistung Gasthausbesuch kann also durchaus auch das Gesamtbild dieser Leistung gesehen werden, angefangen vom Zustand der Toiletten über Aussehen und Geschmack der Speisen bis zum Bierschaum, der im Glas steht oder fällt. Die persönliche Beziehung sehe ich selber insoweit als eine Beziehung zum besuchten „Haus“ in seiner Leistungsgesamtheit, wobei in vielen Fällen kleinerer Gastronomie sogar faktisch eine persönliche Beziehung zwischen Gast und beispielsweise Koch besteht.

Nach meiner Meinung steht es also nach wie vor Betrieben offen, per Arbeitsvertrag oder anderen Vereinbarungen das Verteilen von Trinkgeldern zu erzwingen. Selbstredend müssen solche Regelungen schriftlich erfolgen und von Arbeitgeberseite muss festgelegt sein, wann wieviel des erwirtschafteten Trinkgelds an wen bzw. an den einen Vertrag schließenden Arbeitnehmer ausgezahlt wird.

Abgesehen von diesen engen Ausnahmen dürfte aber Einigkeit darüber bestehen, dass Trinkgeld der Bedienung zusteht, die es kassiert.

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