Deutschlands strengstes Rauchverbot – wer sind die Sieger?

In Bayern wurde am 4. Juli 2010 per Volksentscheid das schärfste Nichtraucherschutzgesetz Deutschlands durchgesetzt. Es gilt jetzt ein uneingeschränktes Rauchverbot in der gesamten Gastronomie. Hat hier wirklich die Volksvernunft wankelmütigen Politikern endlich die klare Linie aufgezeigt?

Selbsternannte Gesundheitsschützer jubilieren: Die bayrische Bevölkerung hat scheinbar als Vorreiter bewiesen, was die Menschen wirklich wollen und brauchen. Ganz offen, fast schon schamlos wird davon geträumt, wie zukünftig der unvernünftigen Menschheit auf diese Weise unter dem Deckmantel der Volksfürsorge der Weg zum richtigen Leben im Einklang mit der Staatsgesundheit gewiesen werden kann. Orwell lässt schön grüßen. Die Rocky Horror Picture Show um Dr. Frank-N-Furter wird sich dabei zunächst noch auf leichter angreifbare und offensichtlichere Ziele beschränken wie die profanen Suchtmittel der kleinen Menschen, jetzt Nikotin, dann wohl Alkohol. Um die wirklich lebensvernichtenden Emissionen wie Schadstoffe aus Autos, Flugzeugen und Kraftwerken sowie solche von Banken, die ganze Altersvorsorgepläne ruiniert haben und auch weiter ungestraft ruinieren dürfen, kümmern sie sich später, wenn sie erwachsen geworden sind. Mag sein, dass Hamburg und Bremen dann schon unter Wasser stehen wegen der Folgen der Klimaerwärmung, doch sind sie rauchfrei untergegangen.

Existenzielle Folgen als Medienspektakel

Nachdem die Medien im Vorfeld der Abstimmung in vielen Kommentaren und so genannten Hintergrundberichten Argumente der Toleranzler wie das zu erwartende Kneipensterben als märchenhafte Horrorszenarien und Lobbyismus der Tabakindustrie abgekanzelt hatten, schwenken sie bereits einen Tag später erwartungsgemäß und trendentsprechend um: Jetzt kommen die „Livemeldungen“ aus den Kneipen, die demnächst ihre Pforten schließen. Auch hier können nochmals Emotionen und tränenselige Erinnerungen an die „gute alte Zeit“ gründlich vermarktet werden. Den realen Weg der betroffenen Wirt/innen in die wirtschaftliche Existenzlosigkeit werden wir vermutlich nicht mehr öffentlich erleben. Das Thema landet bei den tragischen Reminiszenzen neben den Tante-Emma-Läden, die genauso wie die Dorfkneipe gerade auf dem so genannten flachen Land am meisten fehlen.

Extreme Befürworter einer toleranten Linie unterstellen Frank-N-Furter und Kollegen eine faschistische Grundhaltung. Das klingt hübsch plakativ und beleuchtet den Hintergrund einer diktatorisch bedingten Gleichmacherei auch provozierend. Zumindest bei den Wählern aber fehlt es am übergeordneten „faschistischen“ Gesellschaftsziel und deshalb sollte man solche Worthülsen als Vergleich unterlassen. Beim Wähler, oder besser gesagt, dem, der zur Wahl gegangen ist, herrscht nämlich weitgehend Intoleranz und Ignoranz ganz im Gegensatz zu einem Gesellschaftsziel.

Wer sind die Sieger?

In vielen Gesprächen, die ich mit Freunden und Bekannten vor Ablauf des Volksbegehrens in Bayern geführt habe, wurde mir erschreckend deutlich, dass hier eine „Volksmehrheit“ von unter 40% der Wahlberechtigten abgestimmt hat über ein Gesetzesvorhaben, die hier mehr eine Stilfrage in Umgangsformen zu entscheiden glaubte, keinesfalls aber eine Grundlage des gesellschaftlichen Umgangs miteinander. Vermutlich wird es keine Wahlanalysen geben über ein so vordergründig untergeordnetes Problem. Ich behaupte aber, dass die wählenden 40% in ihrer Mehrheit aus dem gutsituierten Mittelstand stammen, der Wählen immer noch zu Recht als Bürgerpflicht ansieht.

Mit solchen Menschen habe ich vor der Wahl gesprochen. Menschen, die keine Faschisten sind, sondern aufrechte Demokraten, die sicher in Fragen der Menschenrechte eine ansonsten eindeutige, entschlossene Position einnehmen würden. Die mich aber fast wie ein Alien betrachtet haben, als ich diese Frage mit der Toleranz gegenüber ausgewiesenen Raucherkneipen verknüpft habe. Menschen in der Mitte ihres Lebens, die Rauchen als Jugendsünde abgelegt haben. Und die deshalb zu wissen glauben, Rauchen muss nicht sein. Keine oder nur sehr wenige militante Nichtraucher also.

Der Grund, warum sie mich so verständnislos betrachtet haben angesichts meiner Tiraden, war ein anderer: Sie konnten mich gar nicht verstehen. Bei ihrem Edelitaliener, Lieblingsgriechen oder bevorzugtem Weinverkoster wird ja schon seit Jahren nicht geraucht. Warum sollte denn dann wo anders geraucht werden? Eine Kneipe wie die verrauchte Eckkneipe im Münchner Hasenbergl, wo sich die Malocher nach der Arbeit noch auf zwei Bier treffen, kennen sie höchstens aus alten Schimanski-Filmen und halten sie für eine Erfindung von Filmdramaturgen. Sollte es einen solchen Ort in ihrem gemütlich eingerichteten Umfeld tatsächlich geben, wäre das eher der Schandfleck, vor dem man die Straßenseite wechselt, um sich keinen befürchteten Peinlichkeiten auszusetzen. Aus dieser Sicht kann man solche Orte ja kaum als schützenswert bezeichnen. Die spätrömische Dekadenz, die wenigen Heller rauchend und saufend in Spelunken zu verplempern findet so eher ein verdientes Ende.

Wer sind die Verlierer?

Die Menschen, die sich in diesen Schandflecken der Kulturlosigkeit treffen, gehen meist schon lange nicht mehr wählen, weil sie jedes Vertrauen in würdige Gerechtigkeit durch einen eine jede Gesellschaftsschicht vertretenden Staat verloren haben. In der Ansicht, ohnehin in diesem Staat nichts mehr ändern zu können, sind sie folgerichtig auch hier nicht zur Wahl gegangen. Die ehrbar siegreichen Demokraten können ihnen dies zu Recht vorwerfen. Der Malocher wird andere Plätze finden, wo das Aldi-Bier zur Zigarette ohnehin billiger ist, seinen Wirt/in bedauern und sich noch eine Spur weiter ausgegrenzt fühlen. Ein Sommermärchen für die gesellschaftliche Verfassung dieser Republik wird nicht daraus werden.

Die Betreiber dieser Spelunken, als gefühlte Familienoberhäupter oft bessere und effizientere Sozialarbeiter wie Heerscharen frisch ausgeschulter Sozialpädagogen können sich gleich dazu setzen, nachdem sie meist bisher schon am Rande der wirtschaftlichen Existenzmöglichkeit entlang vegetiert haben. Viele werden von Hartz IV ohnehin besser leben können als von ihrer Kneipe. Hätten sie die tatsächlichen Leistungen ihrer psychosozialen Beratung wie andere mit den Kassen oder den Ämtern abrechnen können, wäre das Bier aus dem Zapfhahn als Nebenleistung durchgegangen.

Der spätrömischen Dekadenz wird so effektiv Einhalt geboten: Menschen, die Geld beziehen vom Staat, haben sich schließlich nicht in Kneipen aufzuhalten, schon gar nicht rauchend. Dafür gibt es schließlich Almosencafés, wo mögliche Sozialkontakte auch gewährleistet sind. Engagierte Menschen können sich in der Mittagsverpflegung für Kinder nebenan nützlich machen. Die fundierte Sozialberatung vom 22jährigen Sozialarbeiter für den seit zehn Jahren arbeitslosen 50jährigen Kumpel und Familienvater gibt es dort ebenfalls gratis, clean, rauchfrei und eben staatskonform.

Wo führt das hin?

Ich muss zugeben, dass ich es nicht für möglich gehalten hatte, ein Volk könne sehenden Auges selbst für die Anfänge seiner eigenen Entmündigung stimmen. Auf der Denkgrundlage der Befürworter dieses Volksbegehrens werden wir demnächst die Allgemeinheit darüber abstimmen lassen, wie private Lebensverhältnisse zu gestalten sind. Schließlich könnten ja darin oder in deren unmittelbaren Umfeld Kinder geboren werden, deren Rechte und gesundheitliche Unversehrtheit verletzt werden könnten. Auch wenn wir gemeinsam offensichtlich nicht in der Lage sind, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Kinder nicht an Prügeln oder Vernachlässigung sterben: Zumindest rauchfrei soll es sein.

In Bayern ist dieses Volksbegehren durchgesetzt worden nicht wegen einer missverständlichen Fragestellung oder Fragen der Werbemöglichkeit. Es ist vielmehr nicht gelungen, in den Köpfen der überhaupt noch wählenden Bevölkerung ein Bewusstsein für den gesellschaftlichen Hintergrund zu erzeugen, der weit über das schon längst erreichte und berechtigte Ziel des Gesundheitsschutzes für Nichtraucher hinausgeht. Die Mehrzahl der Wähler besteht nämlich nicht aus selbstverliebten Kreuzzüglern wie Frank-N-Furter oder Sonn-O-Holzer, die sich hier endlich als Politstars begreifen können. Die hat sich auf die Wahrnehmung einer für sie scheinbar unbedeutenden Detailfrage reduzieren lassen. Dem Hinweis auf gut und in mühevoller Kleinarbeit gegen den Mainstream der Presse dokumentierte Verlaufsanalysen über die Entwicklung der Gastronomie in angeblich gut funktionierenden Nachbarländern wird erst später mit einem erschrockenem Augenbrauenzucken entgegnet, wenn es zu spät ist.

Was bleibt zu tun?

Den noch größeren Teil der Bevölkerung, dem die rauchende Klientel wohl überwiegend angehört und der schon lange nicht mehr wählt, erreicht man wohl nicht mit einem Slogan „gegen den Verbotsstaat“. Der Verbots-, Kontroll- und Sanktionsstaat ist dort schon längst gelebte Realität. Da wäre vielleicht ein Schlachtruf aus dem Fußballstadion angemessener gewesen: „Steht auf, wenn ihr (..) seid!“.

Tante-Emma-Gastronomen in Bayern wird dies im Gegensatz zu Wiesnwirten nichts mehr nützen. Allen anderen bleibt die Hoffnung, dass Frank-N-Furter&Co nach eigener Aussage nicht aufhören werden, sich profilieren zu wollen. Befürworter einer echten freiheitlich-demokratischen Grundordnung könnten sich bis dahin neu aufstellen, beispielsweise durch Auflage eines eigenen Volksbegehrens, das die Werbevorrausetzungen umkehren würde.

Tante-Emma-Gastronomen außerhalb Bayerns könnten diesen Volksentscheid als Warnschuss und Chance zugleich begreifen. Es geht nicht um das verbreitete Märchen von der zugegeben bösen, bösen Tabaklobby, deren angstschlotterndes Nichteingreifen in Bayern im Gegensatz zu allen Unterstellungen offensichtlich geworden ist. Es geht um ein selbstbestimmtes Gastronomie-Angebot für jedermann, also auch für Raucher, Trinker oder andere scheinbar Aussätzige. Nicht umsonst ist genau diese Gastronomie seit Jahrhunderten auch soziales Bindeglied.
Frank-N-Furter hat nur bewiesen, dass es sich lohnen kann, aktiv für ein positiv propagiertes Ziel einzutreten, anstatt schlotternd, abwartend daneben zu sitzen, was nun wieder passiert. Das Ziel einer freiheitlichen Gesellschaft, die jedem seinen Raum lässt, ist ebenso aktiv und positiv. Man müsste allerdings aufstehen…

Zum Thema der gesellschaftlichen Verwurzelung einer auch Raucher erlaubenden Gastronomie äußert sich der vorangehende Artikel: “Wenn der letzte Baum gefällt ist”. Die Frage, ob Gastronomie als öffentlicher Raum einzuordnen ist, bezweifle ich im folgenden Artikel anhand vorhandener Analogien zur aktuellen Google-Steet view-Diskusdsion.
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