Die Hygiene-Ampel ist durch die Hintertür schon unterwegs

Schon als im September letzten Jahres erste Diskussionen aufkamen, das dänische Vorbild für das Pankower Smiley-System in Deutschland zu übernehmen, habe ich mich dazu ausführlich geäußert. An den dort schon formulierten Argumenten hat sich nichts geändert, außer dass seitdem zwei neue Lebensmittelskandale die Republik bewegt haben, zuerst Dioxin in Futtermitteln, dann Ehec. Wie schon zuvor war auch hier die Gastronomie nicht ursächlich beteiligt.

Nunmehr haben Pressemeldungen zufolge die Verbraucherschutzminister der Länder die Einführung einer „Hygiene-Ampel“ gefordert. Interessant dabei sind zwei Merkwürdigkeiten. Der gleichen Presse zufolge hat Frau Aigner als zuständige Bundesministerin diese Kennzeichnungspflicht ja bereits im letzten Jahr gefordert, damals noch ganz alleine (!). Jetzt heißt dasselbe Instrument „Hygiene-Ampel“ und soll auf diesem Wege wohl zum großen Wurf aller Parteien werden, die noch auf den medienträchtigen Zug aufspringen wollen. Wenn man sich schon weder bei Dioxin noch bei Ehec mit Ruhm bekleckern konnte, so kann man wenigstens hier mit blindem Aktionismus vermeintliche Punkte zurückholen.

Ich wollte es genau wissen und habe mich (Stand 7. Juni 2011) auf den Internetseiten des Ministeriums umgesehen, um den Hintergrund dieser Presseberichte zu recherchieren. Ich habe gefunden, Überraschung, NICHTS! Weder der Begriff „Hygiene-Ampel“ noch „Smiley“ führt bei der internen Suche zu irgendeinem Ergebnis. Was man aber findet, ist der Referentenentwurf zur Novellierung des Verbraucherinformationsgesetzes , der aber interessant genug ist, wenn man sich durch die Buchstabenwüste wühlt:

Welche Rechtsgrundlagen kommen auf die Gastronomie zu?

Wie immer bei der Juristerei benötigt man etwas Fantasie, um sich durch die komplizierten Änderungssplitter zu wühlen. Dann aber wird deutlich, dass die angeblich erst noch zu diskutierenden Rechtsgrundlagen in diesem Entwurf längst gesetzt und auf den Weg gebracht worden sind. Die Rechtsgrundlage für einen Pranger nicht nur der Gastronomie liegt in diesem Absatz begründet, der § 40 LMFG wie folgt ändern bzw. erweitern soll:

„(1a) Unbeschadet des § 39 Absatz 2 macht die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeit Informationen über Verstöße gegen zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung dienende Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels und der Namen oder Firmen der Unternehmen, die das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt, behandelt oder in Verkehr gebracht haben, öffentlich bekannt . Ein Verstoß im Sinne des Satzes 1 liegt vor, wenn zur Überzeugung der zuständigen Behörde die Tatumstände der jeweiligen Zuwiderhandlung gegen eine der in Satz 1 bezeichneten Vorschriften mindestens den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. (…)“

(Hervorhebungen von mir)

Unübersehbar handelt es sich hier um eine bundesweit geltende und sehr allgemein gehaltene Keulenvorschrift, die aber mangels weiterer Erläuterung den jeweiligen Landesvorschriften und vor allem dem Ermessensspielraum der jeweiligen Behörde überlassen bleiben wird. Keine Rede von einheitlichen Kontrollstandards, den in der Presse vorgreifend kolportierten Punktekatalogen oder irgendeinem im Hintergrund geltenden Vergleichswert, anhand dessen der Verbraucher diese publizierte Information für sich selbst bewerten könnte.

Hier wird festgelegt, dass ein anlässlich einer Betriebskontrolle festgestellter Mangel seitens der zuständigen Behörde öffentlich bekannt gemacht werden muss, soweit er den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllt. Das aber ist praktisch jeder in der Bandbreite vom ekelerregenden Ungezieferbefall bis zur vergessenen Fußnote betreffend den Koffeingehalt des Colamixgetränks.

Selbst wenn man die Kirche beim Dorf lässt und zugibt, dass solche Vorschriften im Zusammenhang mit erlebten Fleischverarbeitungsskandalen durchaus sinnvoll erscheinen, fällt doch eines deutlich auf: Die ersten, denen über groß inszenierte Pressekonferenzen die Rechtsfolgen ins Stammbuch geschrieben werden sollen, sind erneut die Gastronomen , unter denen es bestimmt ebenso viele schwarze Schafe gibt wie in jeder Branche, die aber ganz sicher keinen einzigen der erlebten Lebensmittelskandale zu verantworten haben, weder individuell noch als Branche. Sie haben nur weder eine Lobby noch einen Verband, der sie schützt.

Zwischen vorbeugendem Schutz der Bevölkerung vor Gefahren für Leib und Leben und einem Pranger auch für kleinste Nachlässigkeiten klafft schon eine breite Lücke, die hier bedenkenlos zugeschüttet wird.

Anm. Juli 2011:  Die Beschlussvorlage der Bundesregierung wurde mittlerweile unter Berücksichtigung auch nachfolgender Argumente modifiziert und konkretsisert, was diese wie auch die weiterhin vorhandenen Bestrebungen zur Einführung einer Hygiene-Ampel noch nicht berührt.

Im Hintergrund der Hygiene-Ampeln: Geringer Aufwand auf Kosten von Existenzen

Wer sich die Mühe macht, diesen Referentenentwurf durchzuackern, findet auch schnell die Gründe für dieses Vorpreschen aufgeführt: „Haushaltsaufwand: Keiner“, Vollzugsaufwand auch nicht, nachdem die Kosten der Lebensmittelüberwachung mittlerweile ohnehin den Verursachern, nämlich den Gastronomen aufgebürdet werden. Zusätzliche Bürokratiekosten des gesamten Gesetzesvorhabens werden im Rahmen einer detaillierten Prognose auf exakt 1516,00 € geschätzt.

Die massive Existenzbedrohung, die in Anbetracht der herrschenden Medienhysterie bereits aus kleinsten Mängeln entstehen kann, wird dagegen weniger detailliert wie folgt ausgeblendet:

Auf ein vielfach gefordertes Gegendarstellungsrecht betroffener Wirtschaftsbeteiligter ist mit Blick auf die Möglichkeit, eine nachträgliche Überprüfung mit eventueller anschließender Korrektur der behördlichen Information (…) durch entsprechenden Antrag zu veranlassen, verzichtet worden. Über die eventuelle Kostenpflichtigkeit einer nachträglichen Überprüfung entscheidet das landesrechtliche Gebührenrecht.

Im Klartext der Praxis: Selbst einem hygienisch einwandfrei geführten Betrieb kann bereits bei geringfügiger, möglicherweise sogar vom Hersteller verursachten Verletzung der Kennzeichnungspflichten , der Vielfalt unüberschaubarer europäischer HACCP- oder Deklarationsnormen eine ungewollte öffentliche Brandmarkung blühen. Fast alle solchen Normen erfüllen den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit, also dem Falschparken. Eigene Kommentare bleiben verwehrt und die Wartezeit auf eine Nachkontrolle lässt sich aus dem Personalstand der Lebensmittelüberwacher fast schon rechnerisch ermitteln. Bis zur Korrektur einer solchen Ermessensentscheidung vergehen regelmäßig Monate. Wenn die Konsumenten tatsächlich reagieren, kann der Gastronom die Korrektur dann aus der Insolvenzmasse bezahlen . Eine Aufstockung beim Personal der Lebensmittelüberwachung ist nämlich nicht vorgesehen, die würde ja tatsächlich Kosten auf Staatsseite verursachen.

Nebeneffekt: Existenzbedrohende Imagepflege riskiert föderale Wettbewerbsverzerrung

Die Gefahr dieser Gesetzesvorlage für die Gastronomie beruht darin, dass politisch kalkulierte Imagepflege hier wieder mal mit Kanonen auf Spatzen schießt. Im Rahmen der Verbraucherinformation vermutet nämlich niemand Fußangeln für die an der aktuellen Misere ganz offensichtlich unschuldige Gastronomie. Dabei will der kritisierte Referentenentwurf nach eigenem Kommentar Lücken ausmerzen, die sich nach überstandenen Fleisch-, Dioxin-, Putenhaltungs-, BSE- und jetzt Ehec-Skandalen aufgetan haben. Eine sachgerechte Risikobewertung würde den Fokus aber eher auf den Bereich der Futtermittel- und Produktionskette legen, auf deren Sauberkeit sich Gastronomie wie Konsumenten gleichermaßen verlassen müssen.

Dieser Bereich aber entzieht sich der öffentlichen Aufmerksamkeit ganz im Gegensatz zur Gastronomie, deren offene Türen jeder benutzt. Imagepflege ist eben leichter zu verwirklichen in Bereichen, die Konsumenten auch selbst erleben und sich vorstellen können als hinter den hohen Mauern einer Fleischfabrik. Risikobewertung spielt keine Rolle, soweit Aktionismus plakativ dargestellt werden kann.

Diese Vordergründigkeit zeigt sich auch in der aktuellen Diskussion, die sich auf Form, Ausgestaltung und Sinnhaftigkeit von Hygiene-Ampeln konzentriert. Dabei werden im Hintergrund völlig unbemerkt die Grundlagen über ein „stilles“ Gesetzesvorhaben bereits gelegt.

Und dieses Vorhaben bedeutet ganz einfach folgendes: Ab Einführung kann jede Behörde und jedes Land diese Muss-Vorschrift auslegen, wie sie will. Bremen macht vielleicht Smileys, Berlin führt Internetvideos von Betriebsbegehungen ein. In Bayern gibt es vielleicht nur ein Kataster auffällig gewordener Betriebe ohne Kommentar, in Sachsen dagegen die goldene, silberne und bronzene Bratwurst. Jeder kann machen, was er will. Die Landesminister werden sich überschlagen im individuellen Auskosten der Möglichkeiten für eine Gastronomiebrandmarkung. Fakt ist lediglich, die Branche wird sich nicht dagegen wehren können.

Die wirkliche Gefahr für die Gastronomie liegt gar nicht in den aktuellen Pressemeldungen, sondern in der legeren Allgemeingültigkeit, mit der diese Novelle des VIG daherkommt, und die daher unbemerkt durchgewunken werden wird. Die wirklichen Folgen werden sich erst danach ergeben.

Untergrabung und Überforderung des bewährten Kontrollsystems als Nebenfolge

Anscheinend stellt die Gastronomie nicht mehr genügend „systemrelevante“ Arbeitsplätze zur Verfügung, wenn diese bedenkenlos über einen Generalverdacht geopfert werden dürfen. Das Gesetz kommt, wie immer schnell und ohne Bedenken der Realfolgen. Selbstverständlich werden die Medien nach gebührendem Lob für den hehren Ansatz, endlich die Massenmörder unter den Gastronomen auszumerzen unmittelbar danach die überraschenden Wettbewerbsfolgen entdecken sowie die plötzlichen, unerklärlichen Betriebsschließungen.

Mindestens ebenso problematisch sind aber aus Konsumentensicht die Auswirkungen auf die Personale, die sie eigentlich schützen sollen. Die dann immer noch nicht zu Heerscharen aufgestockten Lebensmittelkontrolleure bekommen deutlich Druck, die diversen Aufkleber für die Restauranttüren herbeizuschaffen, um Rechtssicherheit und Vergleichbarkeit herzustellen, was sie nicht schaffen werden. Natürlich werden sie sich in dieser Zeit weniger um die Betriebe kümmern können, deren Überwachung nach dem bisherigen und aus Kostengründen möglicherweise auch vernünftigen Konzept der Risikobewertung angebracht wäre. Die Bearbeitung von dann sicher anfallenden Einsprüchen und wieder aus Gründen der Konzeptverteidigung auch bald auszuführenden Nachkontrollen nimmt die nächste Jahreshälfte in Anspruch.

Es geht hier ergo nicht nur um die Kritik eines gewohnten Politikeraktionismus. Auf Kosten von angreifbaren Kleinunternehmern wird hier ein gewachsenes, risikoorientiertes System der aktuellen Lebensmittelkontrollen bewusst untergraben, das ohnehin bereits auf finanzieller Sparflamme läuft. Es darf nicht deutlich werden, dass man für proaktiven, präventiven Verbraucherschutz kein Geld in die Hand nehmen will.

Auch die im Sinne des Verbraucherschutzes vermutlich effizientere Alternative, endlich einen (Aus-)Bildungsstandard für Gastronomen gerade hinsichtlich Hygiene und Konsumentenschutz festzulegen, wird bewusst außer Acht lassen. Ihre spätere Existenzvernichtung durch solche Vorschriften dagegen sind zweitrangig. Alle Möglichkeiten, zumindest über die Gewerbeaufsicht ein System partnerschaftlicher Nachschulung einzurichten, ebenfalls, indem man eine natürliche Feindschaft zementiert.

Dagegen zum Abschluss nochmals ein Zitat aus dem aktuellen Gesetzesentwurf, soweit es die staatliche Seite betrifft. Die Informationspflicht wird nämlich ausgesetzt,

soweit das Bekanntwerden der Information geeignet wäre, fiskalische Interessen des Bundes im Wirtschaftsverkehr zu beeinträchtigen oder hierdurch Dienstgeheimnisse verletzt werden könnten;“.

Das sagt eigentlich alles zum Thema Risikobewertung. Selbstverständlich wiegen diese Rechtsgüter deutlich schwerer als die Existenzbedrohung vieler Kleingastronomen, denen durch eine solche Denkweise unterstellt wird, an dem Sie betreffenden Generalverdacht unsauberen Arbeitens schließlich selbst schuld zu sein.

Mittlerweile hat die Diskussion natürlich ihren Eingang in die üblichen Gesetzgebungsverfahren gefunden. Einen aktuellen Überblick finden Sie im nächsten Artikel.

In einem modifizierten Entwurf zur Änderung des VIG hat die Bundesregierung die Veröffentlichungspflicht von Kontrollergebnissen an konkrete Merkmale geknüpft. Der zu publizierende Mangel muss den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen, die ein Ordnungsgeld von mindestens 350 € rechtfertigt oder eine Wiederholungstat darstellen. Ausführliche Diskussion dazu und zum Irrweg, das Internet als Sanktionswaffe anstatt zu besserer Schulung zu gebrauchen hier.

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One Response to “Hygiene-Ampel, Barometer oder Smiley: Der große Wurf pro Verbraucherschutz?”
  1. [...] (Schnitzelhaus, Saftbar) können detailliert erläutert werden. Gerade in der heutigen Zeit der Lebensmittelskandale schadet es sicher nicht, ihre Lieferantenkette oder die Einkaufsgrundsätze zu [...]

  2.  
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