Im März 2009 machte die Meldung Schlagzeilen, das Bezirksamt Pankow in Berlin werde die hässlichsten Beanstandungen bei der Überprüfung von Gastronomiebetrieben zukünftig reich bebildert ins Internet stellen. Die Verbraucherorganisation „foodwatch”  hat jetzt, ein Jahr später, eine von ihr beauftragte Emnid-Umfrage veröffentlicht, der zufolge die überwiegende Mehrzahl der Bundesbürger die Veröffentlichung solcher Negativlisten befürworten. Ein willkommener Anlass für manche Medien, das Thema wieder aufzukochen, nachdem das bunt ausgemalte Interesse daran dem schnelllebigen Zeitgeist schon wieder zum Opfer gefallen war. Ein passender Name ist auch schon gefunden: „Ekellisten”.

Pankower Experiment schreit nach bundesweiter Einführung

Natürlich hat „foodwatch” recht. Nicht nur, weil die Bevölkerung quasi einhellig derselben Meinung ist. Gastronome, die nicht nur einen Großteil an eigener Zeit und Augenmerk auf die Einhaltung hygienischer Standards verwenden, sondern auch bewusst in entsprechend geschultes Personal und geeignetes Arbeitsumfeld investieren, könnten eigentlich dankbar sein um solche Maßnahmen. So tönt auch Volkes Stimme im Internet. Und selbstverständlich haben nicht nur alle ehrlichen Gastronomen ein Interesse daran, dass rufschädigenden schwarzen Schafen der Branche das Handwerk gelegt wird. Auch die Arbeit von foodwatch und anderen, eine unverfälschte und hygienisch einwandfreie Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen, verdient höchste Anerkennung.

 Das Pankower Beispiel ist natürlich nicht unbeachtet geblieben, auch wenn es die Medien angesichts vorübergehend ausbleibender Lebensmittelskandale nicht weiter beschäftigt hat. Nicht nur in Hamburg  wird über eine Nachahmung nachgedacht. Andere Stimmen fordern, dem dänischen Smiley-Prinzip  zu folgen, also sozusagen im Positivbereich ein neues Gütesiegel zu schaffen. Damit sollen die Betriebe verpflichtet werden, die Ergebnisse der letzten Lebensmittelkontrolle sozusagen selbst veröffentlichen zu müssen. Der Gestaltungsspielraum in positive wie negative Zurschaustellung ist also relativ groß und schließt sich gegenseitig nicht aus.

 Gestaltungsspielraum meint natürlich auch immer Politik. Nachdem die Lebensmittelüberwachung eine eigenverantwortliche Aufgabe der Kreisbehörden ist, liegt hier ein großartiges Profilierungspotential für Lokalpolitiker. Bei über 90%iger Zustimmung der Bevölkerung kann ein findiger Kopf kaum etwas verkehrt machen, wenn er zur Hatz gegen die böswilligen Lebensmittelsünder bläst. Der Ruf nach mehr und schnellerer Transparenz bei Gesundheitsgefährdung im Lebensmittelbereich ist ja auch berechtigt. Die meisten Gastronomen werden dem zustimmen. Wie aber sieht die faktische Umsetzung dieser „Transparenz” aus?

Futter für die Boulevardmagazine

Die Gastronomie des gemeinen Volks für die Fernsehmedien nach wie vor ein gefundenes Fressen. Alternativ zu Taxifahrern lässt sie sich gut ins Bild setzen als Synonym für Volkes Stimme am Stammtisch, wenn diese gefragt sein sollte. Daneben gibt es lediglich zwei Bereiche, die sich im Gegensatz zur gastronomischen Realität einer dauerhaften Wichtigkeit erfreuen. Da geben sich einerseits Starköche oder solche, die es werden wollen, die Klinke zur Studiotüre in die Hand. Andererseits kommt die Doku zum Tragen, mit welch miesen und hinterlistigen Tricks ahnungslose Gäste von böswilligen, fachfremden, schnöden und Convenienceprodukte aufwärmenden Scharlatanen über den Tisch gezogen werden. Verstärkt wird das allenfalls noch durch Formate, in denen einsame Lebensmittelüberwacher allein auf weiter Flur gegen das Böse kämpfen. Dazwischen gibt es nichts. Der soziale Stellenwert einer Gastronomie, die Menschen verbindet und auf sie achtet, kommt in diesem Schema nicht vor.

 Deswegen sind Gastronomen, die glauben, solche Negativlisten könnten ihr eigenes Image verbessern, weil selbst ja untadelig, auf dem Holzweg. Solche Listen fördern allein die Sensationsgier entsprechend gepolter Medien. Sie bestärken die Möglichkeit, eine ohnehin schon weit unter Wert dargestellte Branche weiter zu verunglimpfen. Faktisch verändern sie ganz offensichtlich nichts, wie ich gleich darstellen werde, leider. Das soll beileibe nicht den grundsätzlich auch von mir favorisierten Transparenzgedanken abwürgen. Man sollte aber schon auch wissen, vor welchem Hintergrund er steht.

Lebensmittelüberwachung vor dem Bankrott?

Der Kernpunkt bei all diesen Positiv- und Negativlisten liegt ja immer bei der staatlichen Lebensmittelüberwachung. Die soll die Daten liefern und deren Fotos werden ins Netz gestellt. Soweit man von dem Grundgedanken ausgeht, über Listen einerseits die Gastronomen erziehen zu wollen und andererseits den Gästen sozusagen einen Hygiene-Restaurantführer im Netz zu bieten, stellt sich ja eine Frage ganz deutlich: Warum dann nicht einfach alle Überwachungsprotokolle ins Netz stellen? Das würde ja das deutlichste Bild liefern, sowohl für die Helden des Putzeimers, als auch gegen die schwarzen Schafe.

 Eine so gestaltete Transparenz würde dem Kunden nämlich vor allem eines deutlich machen: Fast überall in Deutschland sind die Lebensmittelüberwachungen gegenüber dem Wust ihrer Aufgaben personell hoffnungslos unterbesetzt. In NRW war einstmals für Gaststätten eine Kontrollfrequenz von zweimal jährlich geplant. Nach meiner eigenen Erfahrung können die Kontrolleure stolz sein, wenn sie einen bestehenden Betrieb alle zwei Jahre einmal zu Gesicht bekommen. Damit stellen sich auch wettbewerbsrechtliche Bedenken. Wer überhaupt auf solche Listen gelangt, auch zu seinem Vorteil, ist weitgehend dem Zufall überlassen. Die dort gespeicherten Daten werden in der Regel deutlich veraltet sein und ihre Aussagekraft damit äußerst zweifelhaft. Dies zeigt auch eine genauere Ansicht der Pankower Mängelliste . Oft findet sich der Eintrag über eine Nachkontrolle am Folgetag, die nicht zur endgültigen Zufriedenheit ausfiel, was angesichts der geschilderten Mängel auch kaum zu erwarten war. Dann geschieht monatelang - gar nichts, jedenfalls wird nichts mehr dokumentiert.

 Daneben führt die absichtlich schwammig gehaltene Formulierung der gesetzlichen Grundlagen zu einem breit gefächerten Ermessenspielraum. Für den einen Kontrolleur scheint bereits die kieselsteingroße Verunreinigung einer Silikonleiste an der Spüle ein „schwerer Schimmelbefall” zu sein, während im anderen Fall ein vom Schimmel fast überwucherter Lüftermotor zu Recht als schwerer Mangel gebrandmarkt wird, dieser aber nicht zur sofortigen Betriebsschließung führt. Solche Diskrepanzen, die sich hier nur auf den Berliner Bezirk Pankow beziehen, sollen dann auf Listen bundesweit den Eindruck von Vergleichbarkeit vermitteln.

 Es stellt sich schon die Frage, ob hier nicht auch durch populistischen Aktionismus verdeckt werden soll, dass aktiver Verbraucherschutz von staatlicher Seite allenfalls in Schönwetterreden vorkommt, ansonsten aber höchstens als Stiefkind allen anderen Haushaltspositionen hinterherhinkt. Angesichts der Finanznot der Kommunen ist eine Verbesserung dieser Lage wohl kaum zu erwarten. Nach wie vor sind hierzulande außerdem die Prioritäten so gesetzt, dass eine Konzessionierung, also zumindest rudimentäre Eignungsprüfung für Gaststättengründer nur dann erforderlich ist, wenn sie alkoholische Getränke verkaufen möchten. Kochen darf jeder ungeprüft, solange er lediglich ein Glas Wasser dazustellt.

Bevor das Kind im Brunnen liegt:
Lebensmittelüberwacher als Partner der Gastronomie

Letztlich auf Initiative der Europäischen Kommission wurde die all diesen Vorgängen zugrunde liegende Lebensmittelhygieneverordnung 1997 auf das allmächtige Schlagwort „HACCP” reduziert. Mit diesem Begriff werde ich mich im folgenden Artikel noch ausführlicher auseinandersetzen. Grob gesagt wird hier eine Arbeits- und Analysemethode der NASA zur Wunderwaffe erklärt, ohne irgendeinen Inhalt zu formulieren. Mit derselben Methodik werden unter dem Vorwand einer angeblichen Entbürokratisierung an die Stelle von Hygienestandards Begriffe gesetzt wie „angemessen”, „geeignet”, „erforderlichenfalls”. Diese Denkweise korrespondiert wunderbar mit anderen Rechtsbereichen: Sie dürfen auch im Winter mit Sommerreifen fahren. Nur, falls etwas passiert, sind Sie selbst schuld. Der unschuldig geschädigte Kontrahent wird sich bedanken.

 Das HACCP-Konzept birgt durchaus Möglichkeiten, zu einem tragfähigen Konzept ausgearbeitet zu werden. In der Praxis aber wird es zumeist mit der einhergehenden, umfassenden Dokumentationspflicht verwechselt. Schreiben statt Putzen. Dies führt wegen des Fehlens einer gemeinsamen Ebene zu einer weiteren Entfremdung zwischen Kontrolleur und Gastronom, die eigentlich im gutwilligen Sinn dasselbe erreichen möchten. Um im Bild zu bleiben, kann der Gastronom mit Fug und Recht behaupten, seine Sommerreifen reichten vollkommen aus, weil er als Alleingestalter die Lage jederzeit unter Kontrolle hätte. Für den Kontrolleur dagegen stellen Winterreifen die unterste Sicherheitslinie dar.

 Bis heute, fast 15 Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen, gibt es keine auch nur halbwegs allgemeinverbindliche Grundstandards, die das HACCP-Konzept der Eurokraten in gastronomische Begriffe übersetzen würden. Dagegen finden sich unzählige Firmen, die hochheilig versprechen, „wasserdichte” Konzepte präsentieren zu können, gegen Bezahlung, versteht sich. Wer sich davon überzeugen will, möge nur „HACCP+Gastronomie” in eine Suchmaschine eingeben.

 Man sollte meinen, dass zum Beginn des dritten Internet-Jahrzehnts ein grundsätzlich gewollter, zielorientierter und aktiver Verbraucherschutz in der Lage sein sollte, solche Grundstandards zu entwickeln und allgemein zugänglich zu veröffentlichen. Nachdem man ganz bewusst jedermann/frau vorbehaltlos an die Produktion von Speisen für das Publikum lässt, garniert man sie besser gleich mit Beispielvideos. Selbst unter den schwarzen Schafen der Branche wird es nur wenige geben, die vorsätzlich und bewusst Schaden herbeiführen wollen. Denen Hilfen zu geben, die heutzutage ohne Aufwand einfach zu erstellen und zu verbreiten sind, wäre erste Staatspflicht. Im Vergleich dazu scheint jedoch die Nutzung des gleichen Mediums zur Kriminalisierung einer ganzen Branche wesentlich einfacher und bringt schnell erreichbare Zustimmung. An der Sachlage selbst ändert sie nichts. Jede Ekelliste bezeugt, dass das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und dass keinerlei Antrieb besteht, genau das zu verhindern.

 Solange also an den Grundlagen der Lebensmittelüberwachung nichts verbessert wird, an ihrer personellen Ausstattung wie aber vor allem an ihrer Kompetenz, beispielgebende Hilfen und Grundstandards zu veröffentlichen, solange mögen Ekellisten das Volksgewissen beruhigen und selbsternannte Volkstribune fördern. An den Ursachen ändern sie nichts und die erwünschte Transparenz bleibt allenfalls ein volksberuhigender Anschein.

Die bundesweite Verbraucherschutzdiskussion fokussiert sich jetzt auf das Smiley-Prinzip nach dänischem Vorbild. Siehe dazu meinen Beitrag zur Frage: Taugt der Smiley als Qualitätssiegel für die Gastronomie?

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One Response to “Ekellisten: Gastronomie am Pranger oder Transparenz für den Verbraucher?”
  1. [...] als im September letzten Jahres erste Diskussionen aufkamen, das dänische Vorbild für das Pankower Smiley-System in Deutschland zu übernehmen, habe ich mich dazu ausführlich geäußert. An den dort schon [...]

  2.  
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