Lebensmittelskandale zeigen ein Versagen der Gesellschaft, erst in zweiter Linie auch fehlende Kontrollen

Nach BSE und Gammelfleisch jetzt Dioxin in Futtermitteln. Wieder ein furchtbarer Aufschrei, schärfere Kontrollen werden gefordert und auch foodwatch darf endlich wieder öffentliche Statements in den Medien abgeben. Ansonsten aber dieselben Berichte, dieselben Artikel wie in den Jahren zuvor. Die Redaktionen müssen nur die Suchen->Ersetzen-Funktion aufrufen und aktuell „Gammelfleisch“ durch „Dioxin“ ersetzen. Dasselbe gilt selbstverständlich für die scheinheilig überraschten Auftritte von Politikern jeder Gruppierung wie auch für die ewig gleichen Experten, die vor diesen Umständen immer schon (erfolglos) gewarnt haben, was natürlich stimmt.

Haben wir also nichts gelernt? Wir, die Gemeinschaft der Konsumenten, können nichts mehr lernen. Dass wir den rein am Profit orientierten Machenschaften einer zur Industrie gewordenen Lebensmittelkette schutzlos ausgeliefert sind, wussten wir schon vorher. Das hat sich nun lediglich erneut bestätigt.

Günstige Lebensmittel um jeden Preis

Die Politik, von uns dazu abgeordnet, Regeln und Strukturen zu schaffen, die uns vor genau solchen Machenschaften schützen sollen, kann außer beschwörenden Lippenbekenntnissen nicht viel tun. Viel zu wichtig ist es geworden, Deutschland als eines der Länder mit den billigsten Lebensmittelpreisen im entwickelten Europa zu erhalten.

Trotz sinkender Realeinkommen können sich die meisten Deutschen nämlich ihre Ernährung immer noch leisten, so dass der schleichende Verfall weniger schmerzhaft wahrgenommen wird. Ernsthafte Proteste sind in Deutschland erst zu erwarten, wenn es „ans Eingemachte geht“, also ans Auto und dann an unser täglich Brot.

Da sind Handelsriesen wie Aldi, Lidl, Rewe & Co, denen es bis heute gelingt, durch Aufbau  druckvoller Marktstrukturen halbwegs stabile Preise durchzusetzen, ziemlich willkommen. Die über entsprechende Publikationen und Ekel erregend bebilderte Dokus mittlerweile auch Laien durchaus bekannten Auswirkungen solcher Methoden mag man da ohne Not lieber nicht hinterfragen. Stattdessen werden so viele Nebelbomben in Form von Informationshäppchen geworfen wie gerade nötig und ein medienwirksamer Aktionismus entfacht, der mit dem schönen Stichwort „vorbeugender Verbraucherschutz“ etikettiert wird.

Das neue Zauberwort: Freiwillige Selbstkontrolle wie im Kino

Danach werden Spitzengespräche und „runde Tische“ veranstaltet, nach deren Auswertung weiter an kleinen Stellschräubchen gedreht wird, die den Staat nichts kosten, aber Tatendrang bezeugen. Schon jetzt werden weitere Mechanismen der Selbstkontrolle aller beteiligten Betriebe der Nahrungskette gefordert. Bisher wurde dies unter dem Stichwort „Entbürokratisierung“ gehandelt. In jedem Fall bedeutet es nur den zunehmenden Rückzug staatlicher Organe aus der Verantwortung und kostenintensiven Kontrolle.

Diese Kosten werden dann jenen aufgebürdet, die am Anfang des Produktionsprozesses ohnehin schon keinen Einfluss mehr auf die Preisgestaltung ihrer Produkte haben und so noch weiter unter Druck geraten, also die Landwirte, in einem späteren Punkt der Verwertungskette dann analog auch die Gastronomen. Sehenden Auges werden also die Kosten für Lebensmittelsicherheit dahin verschoben, wo sie erkennbar nicht mehr zu leisten sind. Dafür hat man im Schadensfall aber später einen greifbaren Schuldigen, auch wenn das Kind dann schon in den Brunnen gefallen ist.

Auch im jetzt vorliegenden Fall war Auslöser des Skandals kriminelles Verhalten, ausgelöst mindestens durch Nichtbeachtung der eigenen Selbstkontrollvorschriften. Ebenso dem interessanterweise zunächst nicht weiter vertieften Vernehmen nach war das verursachende Futtermittelunternehmen massiv von Insolvenz bedroht, eine Situation, die angesichts des vorhersehbar weiter steigenden Kostendrucks einer ganzen Schar von Produzenten und Zulieferern im Lebensmittelbereich droht. Jeder, der uns bei solchen Rahmenbedingungen weismachen will, eine erweiterte Selbstkontrolle könne solche Vorgänge in Zukunft ausschließen, wäre mit dem Tatbestand der Vorspiegelung falscher Tatsachen noch gut bedient.

Als Bäuerinnen wochenlang vor Landwirtschaftsministerien kampierten, um für einen fairen, also wenigstens existenzerhaltenden Milchpreis zu demonstrieren, wurde dies durchaus berichtet und die um ihren Existenzerhalt bettelnden Betroffenen wurden auch ab und an mit einem verständnisvollen Schulterklopfen belohnt. Das Ergebnis war nur, dass der Rest der Gesellschaft jetzt mit einem diffusen Schuldgefühl angesichts dieser Bilder beim Discounter auch weiterhin zur Billigmilch greift. In den Hinterzimmern der Ministerien diktiert dagegen die Nahrungsmittelindustrie nach wie vor, wie durch perfide Ausnahme- und Auslassungsbestimmungen auch in Zukunft dem Verbraucher der Anschein von hochwertigen, aber günstigen Lebensmitteln für industrielle Ersatzprodukte vorgegaukelt werden kann.

Zeige mir, was du isst, und ich sage dir, was du verdienst

Eine Gesellschaft, die es zulässt, dass ihr seit der Steinzeit überliefertes Rückgrat, nämlich die Versorgung ihrer Mitglieder mit Nahrung, zu einem ebenso allein an Profitmaximierung orientierten Industriesektor wie die Automobilherstellung oder die Hochfinanz verkommt, mag ja das erhalten, was sie verdient. Dann kauft Otto Normalverbraucher eben nur noch „Fressalien“, und echte Lebensmittel bleiben dem vorbehalten, der sie sich leisten kann. Die Discounter haben diese Linie schon vorweg genommen. Nach den alten Regeln der Preisdifferenzierung gibt es dort schon längst die so genannten BIO-Produkte zum höheren, aber immer noch Discount-Preis.

So zeigt auch der vorbeugende Verbraucherschutz im jetzigen Stil nur die allgemeine Tendenz zur Spaltung der Gesellschaft. Gesundheit, zukünftig auch bei Lebensmitteln, muss man sich eben leisten können. Der Staat, ursprünglich eingesetzt als Regulator und Schutzmechanismus vor derart überbordenden Geschäftsprinzipien, hält sich zurück. Kontrollen sind zu teuer und eine zu intensive Marktordnung könnte ja schließlich Arbeitsplätze gefährden. Die Rettung von Banken ist alternativlos, während bei zu teuren Lebensmitteln ja angeblich immer auf noch billigere Importe ausgewichen werden kann. Warten wir also ab, bis der Bauernstand einer der reichsten Industrienationen endgültig in die Rolle des Dumpingproduzenten von Fressalien gezwungen worden ist. Mit zunehmender Anzahl der Skandale sinkt unsere Akzeptanzschwelle ohnehin, das haben die Psychologen ja schon bewiesen.

Ein Beispiel, wie der blinde und an den Kosten geizende Staatsapparat seine Lehren zieht, ohne solche Spaltungstendenzen zu berücksichtigen, zeigt die Diskussion über so genannte Hygiene-Ampeln.

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