LGL Bayern eröffnet schludrige Beanstandungsliste für Lebensmittelbetriebe

Im Sommer 2011 hatte ich versucht, mich ein wenig in die Diskussion um das damals von einigen Seiten als Heilsmittel propagierte so genannte Hygiene-Barometer einzuschalten. Gleichzeitig hatte ich gewarnt vor den Folgen der Novellierung des §40 LMFG, weil ich entgegen der Meinung einiger Experten hier die Wurzel eines kommenden Internet-Prangers für die Gastronomie gesehen hatte. Jetzt ist das Kind im Brunnen: Auch das in Sachen Hygiene-Barometer eher vernünftige Bayern hat den Internet-Pranger eingeführt. Rechtsgrundlage, wie von mir erwartet, der jetzt neu gefasste §40 LMFG. Aber auch Befürworter so genannter Transparenz müssten einsehen, dass dies der falsche Weg ist zu mehr Sicherheit in der Lebensmittelhygiene.

Wie bereits gemeldet, sind diesen Veröffentlichungen zuletzt doch noch kleine Einschränkungen auferlegt worden. So sollen nur gravierende Verstöße auch veröffentlicht werden, nämlich solche, bei denen ein Bußgeld von mehr als 350€ zu erwarten ist. Ein Blick auf die jetzt vom in Bayern zuständigen Landesamt für Lebensmittelsicherheit ins Netz gestellte Liste der „Hygiene-Sünder“ zeigt aber, dass die meisten der (auch) von mir vorgetragenen Bedenken nach wie vor zutreffen.

Internet-Pranger des LGL Bayern stellt sich bei Besichtigung als offensichtlich unvorbereiteter Schnellschuss heraus

Schon bei der ersten Durchsicht fällt auf, dass man sich über die Definition des Begriffs "Produkt" in der Liste nicht ganz einig ist. Einmal sind es 1000g Pfifferlinge oder ein Baumkuchen, dann ist es eine Gaststätte oder eine Saftbar, wieder anders besteht das anzuzeigende Produkt in einer Routine- oder Nachkontrolle. Solche Geburtsfehler zu bemängeln, mag man vielleicht zu Recht als kleinkariert abtun. Sie zeigen aber erneut, dass hier mit aller Macht ein "Produkt", nämlich ein Internetpranger, präsentiert werden soll, ohne dass man sich im Vorfeld grundsätzliche Gedanken gemacht hat.

Schon weniger kleinkariert, sondern eher existenzbedrohend die Unterschiede im Umgang mit den betroffenen Betreibern.

Während sich die Stadt Landshut große Mühe gibt, schon bei der Betreiberanzeige darauf hinzuweisen, wen alles diese Mängelanzeige wegen Namensgleichheiten nicht betrifft, findet sich nach einer Recherche der Süddeutschen Zeitung ein Biergartenbetreiber in München ohne weitere Einschränkung an den Pranger gestellt, weil ein bereits geschlossener Fischgrillstand beanstandet wurde, der von einem betriebsfremden Gastronomen im vergangenen Sommer dort betrieben worden war.

Insgesamt fällt auf, dass 12 Wochen nach Inbetriebnahme des Portals von den ca. 125 Lebensmittelüberwachungsbehörden vor Ort nach kursorischer Prüfung gerade 25 dort Ergebnisse eingestellt haben. Dies kann natürlich seine Ursache darin haben, dass bei den anderen 100 Ämtern keine Auffälligkeiten zu verzeichnen waren.

Wesentlich wahrscheinlicher erscheint mir aber meine eigene Vermutung. Es gibt erstens ganz gravierende Unterschiede in der Einschätzung was ein "schwerwiegender" Verstoß ist und was nicht, was wiederum Zusammenhänge haben dürfte mit dem Dienstalter des einstellenden Kontrolleurs sowie mit der Internet-Affinität seiner selbst oder seines Amts. Zweitens natürlich mit der Personalausstattung der jeweiligen Behörde, für die die vorgesehene Einpflegung solcher Mitteilungen ja noch einen weiteren Arbeitsaufwand bedeutet.

Eine Ungleichbehandlung der Gewerbetreibenden je nach Standort ist nicht zu übersehen

Bei einer Durchsicht der Liste kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Chance, an den Pranger gestellt zu werden, in München, Nürnberg oder Landshut jedenfalls deutlich größer zu sein scheint als beispielsweise in Dachau, Starnberg oder Fürstenfeldbruck, um im Umfeld der Stadt München zu bleiben.

Auffällig auch, dass zwar bemängelte Betriebe ohne Frage ins Netz gestellt werden. Bei aller Transparenz müssen sich aber die bemängelnden Kontrolleure nicht persönlich "outen", und sei es nur mit ihrer Dienstnummer oder einem Kennwort. Dies würde nämlich im Umkehrschluss zumindest die Möglichkeit eröffnen, evtl. Karrieregeilheit besonders "scharfer Hunde" auch transparent zu machen.

Insgesamt zeigt die bisher veröffentlichte Liste ganz eindeutig, dass nach wie vor keinerlei Richtlinien existieren, wer auf diesen Pranger gelangt und wer nicht, sondern hier vielmehr Roulette mit den betroffenen Existenzen gespielt wird. Ich habe es schon oft erwähnt: Es geht nicht darum, das Aussondern schwarzer Schafe zu verhindern. Daran muss der ganzen Branche gelegen sein. Aber dieser Schnellschuss ist in meinen Augen falsch, mindestens unausgegoren und er sollte den wirklich gesundheitsgefährdenden Gefahren vorbehalten sein. Diese Unterscheidung lässt die vorgelegte Liste aber nicht zu.

Keine wirkliche Information der Öffentlichkeit besonders in Bezug auf die tatsächliche Bedrohung der Verbrauchergesundheit

Was in der Liste als Beanstandungen veröffentlicht wird, beschränkt sich nämlich meist auf die von den Kontrolleuren verwendeten Oberbegriffe, deren Bedeutung und vor allem Bedeutungsschwere die Öffentlichkeit kaum nachvollziehen kann, sie werden auch im umgebenden Internet-Auftritt nicht weiter erklärt.

Der "bauliche Mangel" kann eine verschimmelte Wand sein, eine angeschlagene Fliese oder auch die fehlende Personaltoilette eines Ein-Mann-Unternehmens, je nach Sichtweise des Kontrolleurs. Er ist vielleicht auch nur nebensächlich eines tatsächlich gravierenden Verstoßes aufgelistet worden. Aus den eingestellten, separat anklickbaren Berichten lässt sich das jedenfalls nicht nachvollziehen.

Zwischen "Kenzeichnungspflichten" und "Verbrauchertäuschung" stehen Meilen. Als Verbraucher ist es mir egal, ob jemand vergessen hat, mir mitzuteilen, dass Cola coffeinhaltig ist. Wenn er mir aber Analog-Käse auf die Pizza streut, bin ich verarscht und das will ich dann auch tatsächlich wissen. Solche Unterschiede werden aber durch die Begrenzung auf lapidare Oberbegriffe eher verwischt als deutlich gemacht.

Der letzlich einzige, für den Endverbraucher Gefahr signalisierende Oberbegriff "Inverkehrbringen von zum Verzehr nicht geeigneter Lebensmittel" wird so stehen gelassen. Ob hier tatsächlich verdorbene Melonen versaftet wurden oder lediglich nicht mit korrekten Aufklebern versehene, selbst eingefrorene und ansonsten völlig unbedenkliche Zwischenprodukte gefunden worden sind, bleibt ebenfalls der Interpretationslust des Lesers vorbehalten.

Man kann die Liste nämlich durchgehen, wie man will. Aus diesen Berichten lässt sich gar nichts erschließen, geschweige denn eine eigene Beurteilung der Gefährdungslage, was der Begriff "Transparenz" ja impliziert. Dessen Mehrwert soll ja nach Ansicht der Befürworter darin bestehen, dass Sie sich jetzt ein umfassenderes Bild ihres (dann zu Unrecht) favorisierten Betriebs machen können. Geboten werden aber nur unkonkrete Allgemeinplätze, die der unbefangene Leser in der Abwägung kaum bewerten kann. Hier wird Transparenz also eher vernichtet denn erschaffen.

Wenn schon, dann schon. Wer glaubt, berechtigte Schutzinteressen eines stehenden Gewerbes ignorieren zu dürfen, weil dessen Versäumnisse dem sicher höheren Gut der Verbrauchergesundheit akute Bedrohung zufügen, der soll diese Vorwürfe und vor allem die akute, direkte Bedrohung auch ausreichend belegt und ausgeführt darlegen und sich nicht hinter Allgemeinplätzen verstecken dürfen. Dann will ich auch wissen, welcher schwere Verstoß dazu geführt hat, auf diesem Pranger zu landen.

Keine Sofortlöschung nach Mängelbehebung bestärkt den Pranger-Charakter anstelle der behaupteten Information

Eine echte Gefahrwarnung jedenfalls findet nicht statt, Erklärung oder Gefahrbewertung auch nicht. Das wäre ja allenfalls der von den Befürwortern geforderte Sinn solcher Internet-Kampagnen. Stattdessen werden unkommentiert Kleinunternehmer vorgeführt, denen durch andere Maßnahmen durchaus besser geholfen werden könnte. Die deutliche Mehrzahl ausländisch klingender Namen auf der Liste der Angeprangerten jedenfalls zeigen hier eine deutliche Sprach(-Störung). Ansonsten ist es nämlich wie immer: Wer genügend Geld und Möglichkeiten hat, kann die Veröffentlichung durch eine Klage beim Verwaltungsgericht unterbinden. Schon unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit stehen seine Chancen, zu gewinnen, vermutlich gar nicht so schlecht.

Weniger Betuchten wird nichts anderes übrig bleiben, als die zu erwartende Prozess-Serie abzuwarten, die dann irgendwann Licht ins Dunkel der Regelungen dieses äußerst fragwürdigen Portals bringen wird.

Worum es geht, wird jedenfalls bereits in den bisher vorhandenen Regeln deutlich: Sobald eine Behörde eine Mängelanzeige ins Internet hochgeladen hat, bleibt diese dort für sechs Monate zementiert stehen. Eine Mängelbehebung wird zwar (irgendwann) angezeigt, der Eintrag selbst aber nicht gelöscht. Damit ist eindeutig: Es geht nicht um Gefahrenabwehr für die Gesundheit der Endverbraucher, sondern um einen als Drohung gemeinten Internet-Pranger, der nur einer Zur-Schau-Stellung dient.

Dasselbe gilt für eine weitere dargestellte "Regel": Neben den schwerwiegenden Fällen sollen hier "Wiederholungstäter" präsentiert werden, also solche, die bereits öfter aufgefallen sind. Verschwiegen wird dabei ein besonders perfider Bürokratie-Trick. Der früher von Amts wegen und aus Gründen der allgemeinen Gesundheitsprävention durchgeführte Kontrollbesuch der Behörden wird heutzutage gebührenpflichtig für den Betreiber (also umsonst für die Behörde), sobald Mängel festgestellt werden. Angesichts leerer Kommunalkassen versteht es sich von selbst, dass es schon aus diesem Grund den mängelfreien Betrieb nicht geben darf (angesichts der Vielzahl der Vorschriften auch nicht geben kann), in der Folge also auch jeder Betrieb ein potentieller Wiederholungstäter sein wird.

Ein gewollter Internet-Pranger setzt auf Konfrontation statt Bildung und Weiterentwicklung in ungeschützten Berufen

Diese Form des Internet-Prangers wird noch mehr wie früher einen Boxring aufstellen, in dem sich Gastronomen und Lebensmittelüberwacher als scheinbar natürliche Feinde gegenüberstehen. Wo man früher geneigt war, gemeinsame Lösungen zu finden, wird man jetzt versuchen, rechtswirksame Gegenargumente zu finden, die einer drohenden Veröffentlichung abhelfen könnten. Die staatliche Lebensmittelüberwachung war bisher die einzige Institution, die im Gewirr der vielfältigen Einzelvorschriften bis hin zur europäischen Ebene noch einen rudimentären Überblick behalten konnte.

Den konnte sie bisher den von ihnen zu überwachenden Betrieben auch in einem halbkollegialen Verhältnis nahebringen. Nur der jahrelangen und einer dem jeweiligen Betrieb angemessen verständnisvollen Arbeit der Lebensmittelkontrolleure ist es zu verdanken, dass aus dem europäischen Papiertiger HACCP mittlerweile zumindest teilweise ein Verstehen des Prinzips Eigenkontrolle geworden ist.

Jetzt gewinnt endgültig das Polizei-Prinzip Oberhand. Ich will gar nicht bestreiten, dass es durchaus Argumente für dieses Prinzip geben kann. Wer das will, muss dann aber auch Farbe bekennen und sich endgültig von der bis jetzt geltenden Rechtsordnung verabschieden, dass jeder eine Kneipe eröffnen kann, wo er will, solange er keinen Alkohol ausschenkt, sogar wie er will.

Mit der so genannten Transparenz dieses Internet-Prangers wird der Eindruck erweckt, als handele es sich bei den gescholtenen Anbietern um Personen, die absichtlich ihre Kunden vergiften wollten. Tatsächlich handelt es sich in vielen Fällen um Menschen, die versuchen, Geld zu verdienen und es nicht besser wissen (können). Dieses Manko konnten Lebensmittelüberwacher bisher durch die vorgeschriebene Erstbegehung vor Eröffnung und nachfolgende Kontrollen in gewissem Rahmen ausgleichen.

Diese Form der so genannten Transparenz wird zur effektiven Sicherheit der Verbraucher, die jeder bewahren will, keinen Deut beitragen. Selbst die Protagonisten dieses Prinzips fordern bis zum heutigen Tag keine Ausbildungsvoraussetzungen für Betreiber der von ihnen als so gesundheitsrelevant beschriebenen Unternehmen, die für jeden Kfz-Betrieb bis hin zum Friseur fraglos akzeptiert werden. Ich halte es für eine notwendige Folge der offenbar gewollten Abwesenheit solcher Zugangsvoraussetzungen, dass sich dann auch Leute in diesem Segment einzunisten versuchen, die von der Materie keine Ahnung haben.

Diese aber erst einzuladen und dann nach dem Ätsch-Bätsch-Prinzip durch einen Internet-Pranger abzustrafen, ist der falsche Weg. Eine Möglichkeit wäre sicher, die Lebensmittelüberwachung weiter zu einer auch begleitenden Kooperations-Behörde auszubauen zu einem lokalen Kompetenz-Zentrum für Lebensmittelhygiene. Das wäre der richtige Weg, um wissenschaftlichen Fortschritt schnell kommunizieren und anwenden zu können. Der ist natürlich zu teuer, so viel Geld will der Staat entgegen werbewirksamer Äußerungen auch nicht ausgeben.

Ansonsten bleibt nur der Weg, Gastronomen wie auch Betriebsleitern in anderen lebensmittelrelevanten Betrieben eine entsprechende Ausbildung abzufordern. Die jetzt gängige Praxis, jeden erst mal machen zu lassen und später zu schauen, ob das auch in Ordnung ist, hilft hier nicht weiter und daran ändert der Internet-Pranger nichts, außer dass er als Kollateral-Schaden (zu was eigentlich?) auch gewachsene und gut strukturierte Existenzen vernichten kann.

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One Response to “Hygiene-Barometer für Gastronomie scheint vorläufig vom Tisch, der Internetpranger treibt fröhliche Blüten”
  1. Animalis sagt:

    Guten morgen. Klare Worte. Setzen Sie das Projekt fort. Schauen nach vorne. Ich bin neugieriger Gast. Immer weiter so. Die Webseite besitzt gute Posts. Frieden. Veröffentlichen Sie mehr Kommentare. Die früheren Texte sind kompetent. Bis zum nächsten Besuch.

  2.  
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