Hygiene-Ampeln: Ablenkungsmanöver und Symbolpolitik im Verbraucherschutz

Die sachlichen Argumente, die sich gegen die Einführung so genannter Hygiene-Ampeln richten, wurden im vorherigen Artikel schon erläutert. Bereits aus diesen wird ersichtlich, dass es sich bei dieser Aktion um ein pures Ablenkungsmanöver handelt. Nach der massiven Medienkritik im Ehec-Fall und dem Dioxinskandal soll nun Handlungsfähigkeit demonstriert werden, ohne aber dafür Geld ausgeben zu wollen. Was für alle betroffenen Kleinunternehmer nicht nur der Gastronomie noch schwerer wiegt: Durch den plakativen Begriff wird erfolgreich verschleiert, dass die anstehende Änderung des §40 LMFG den öffentlichen Pranger auch für nicht hygienebedingte Minimalbeanstandungen bereits in die Wege leitet, dort wird es nur nicht so benannt.

In der aktuellen Diskussion (Juni 2011) hat sich zunächst auf Bundesebene allein das Wirtschaftsministerium schützend vor die Kleinbetriebe gestellt, jetzt aktuell auch die Länderministerkonferenz

„Kontrollen und die Ahndung von Hygieneverstößen sind funktionierende Instrumente, die schon heute für saubere Restaurants sorgen. Gastwirte öffentlich an den Pranger zu stellen, bei denen Verstöße festgestellt wurden, ist das falsche Instrument. Es schürt Ängste und stigmatisiert Gastwirte für lange Zeit, auch wenn die festgestellten Mängel längst beseitigt sind.“

Staatssekretär Burgbacher vom BMWirtschaft findet als einziger glasklare Worte:

„Für die betroffene Wirtschaft hätte sie jedoch gravierende Kosten, Wettbewerbsverzerrungen und Bürokratielasten zur Folge. Gastwirte dürfen nicht an den ‘Pranger gestellt’ werden. Es darf keine Symbolpolitik zu ihren Lasten geben.”

Für den Mut, diesen blinden Aktionismus als das zu charakterisieren, was er ist, nämlich pure Symbolpolitik, dürfen alle Kleinunternehmer ihm danken. Für so klare Worte haben unsere eigenen Verbände bisher nicht die Zeit und Sprachgewalt gefunden.

Bundestag überbietet sich mit Pranger-Visionen

Allerdings ist federführend für die aktuell anstehende Änderung des Lebensmittelgesetzbuches der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Dort wird der im Vorartikel bereits zitierte Referentenentwurf des zuständigen Ministeriums diskutiert und letztlich auf den Weg des Gesetzgebungsverfahrens gebracht, und dort findet die ferne Stimme des Wirtschaftsministers wenig Gehör, wenn es darum geht, sich Punkte in den Medien zu verschaffen.

Anlässlich der Diskussion im zuständigen Ausschuss wurden die ursprünglich ins Auge gefassten Veröffentlichungsmaßgaben sogar noch erweitert:

„Die Behörde kann unter den Voraussetzungen des Satzes 1 auch auf eine Information der Öffentlichkeit einer anderen Behörde hinweisen, soweit berechtigte Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich berührt sind.“

Der Teufel liegt hier auch wieder in der wohl beabsichtigten Allgemeinhaltung. Damit wird nämlich dem „Super-Pranger“ Tür und Tor geöffnet, weil es, zu Ende gedacht, nicht ausschließt, auch den Gastwirt oder Kleinunternehmer öffentlich bloßzustellen, der nach einer Alkoholfahrt mit 0,6 Promille erwischt worden ist. Nach einer derartigen Fahrlässigkeit ist schließlich nicht auszuschließen, dass er es bei den Vorschriften zur Abgabe von Alkohol in welchem Gewerbe auch immer ebenfalls nicht so genau nimmt, berechtigte Verbraucherinteressen wären also berührt.

Das ist die einzig für die Branche wesentliche und aktuelle Erweiterung im Prozess der politischen Willensbildung. Natürlich ist diese Drucksache für den Laien wegen ihrer juristisch spitzfindigen Einzelwortklaubereien praktisch nicht lesbar. Wer sich dennoch durchkämpft, findet dennoch interessante Details, die endgültig offen legen, wie hier Symbolpolitik auf Kosten von Kleinunternehmern betrieben wird.

Sachverständige werden angehört, aber nicht erhört

Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung durften verschiedene Sachverständige ihre Meinung zu dem geplanten Gesetzesvorhaben abgeben. Diese bezieht sich zwar auf das Gesamtpaket, also nicht nur auf die hier angesprochene Informationsverpflichtung der Behörden. Einige der Meinungen sind dennoch so deutlich gefasst, dass sich die Frage geradezu aufdrängt, ob hier nicht purer Aktionismus zur Beschwichtigung der öffentlichen Meinung zum Tragen kommt:

„Horst Lang, Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e.V., äußerte, man müsse sich die Frage stellen, ob überhaupt eine Notwendigkeit für den Gesetzentwurf bestehe. (…)Die bisher bestehenden gesetzlichen Regelungen reichten vollkommen aus, um entsprechend gegen Verstöße reagieren zu können.“

Dr. Marcus Girnau, Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V.:

„Zudem warne man davor, dass die Erhöhung von Mitteilungspflichten zu einer enormen Datenansammlung führe werde und bereits jetzt Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern in der Frage der Zuständigkeit für die Datenverarbeitung und der Schaffung entsprechender personeller Ressourcen bestehe. Weiter befürchte man, dass eine Veröffentlichung sämtlicher Eigenkontrollergebnisse zu einer Instrumentalisierung dieser Daten im Wettbewerb mit anderen Unternehmen führen könne. Folge einer solchen Entwicklung könne sein, dass freiwillige Kontrollen auf Unternehmensseite weiter reduziert würden.“

„Der Einzelsachverständige Burkhard Erbacher betonte, der Gesetzentwurf sei nicht dazu geeignet, dem Wunsch nach tatsächlicher Qualitätsverbesserung von Tiernahrung und Lebensmitteln Rechnung zu tragen. Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen seien voll ausreichend.“

Letztlich alle Nichtpolitiker betonten, dass ein verbesserter, vorbeugender Verbraucherschutz ganz wesentlich mit einer verbesserten Ausstattung der staatlichen Lebensüberwachung an Personal und Ressourcen zusammenhängt. Genau dieser Gedanke findet sich in keiner einzigen Stellungnahme von politischer Seite gleich welcher Couleur. Allenfalls wird der Wunsch nach Bildung von Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften gefordert.

Super-Pranger und Scherbengericht als Vision

In der allgemeinen Hysterie schießt schließlich die SPD den Vogel ab: Sie will die Informationsverpflichtungen konkret regeln, nämlich „eine zentrale Internetseite einzurichten, auf der die einzelnen Behörden ihre Informationen unter Nennung von „Ross und Reiter“ veröffentlichen“, die am Liebsten sämtliche verfügbaren Positiv- wie Negativinfos darstellen sollen, sowie „Zivilcourage zu fördern und zeitnah einen Gesetzentwurf zur Regelung des Informantenschutzes vorzulegen. Mitarbeiter und Beschäftigte, die die zuständigen Behörden über Missstände bei ihren Arbeitgebern informieren, müssen gesetzlich vor Benachteiligungen
geschützt werden.“

Selbst wenn fairerweise zugestanden werden muss, dass diese Vorstellungen vor dem Hintergrund entwickelt wurden, Futtermittelverseucher mit krimineller Energie dingfest zu machen, geht es hier um Holzhämmer, die am Ende die 99,95 % korrekt arbeitender Kleinunternehmen betreffen werden, welche Lebensmittel in Verkehr bringen. Zwar wird sich in einer derart losgetretenen Welle an Pseudo-Informationen ohnehin kein Verbraucher mehr zurechtfinden, sondern bestenfalls gezielt suchende Wettbewerber. Auch wird der Internetpranger den äußeren Frieden ganzer Branchen untergraben. Jetzt aber auch noch den inneren Betriebsfrieden ganzer Wirtschaftsbereiche durch Vorschub zu Denunziation und Mobbing auszuhebeln, schlägt dem Fass dann doch den Boden aus. Wohlgemerkt, diese allgemein gehaltenen Vorstellungen betreffen nicht kriminelle Handlungen Einzelner, sondern jede denkbare innerbetriebliche Fehlleistung.

Solche Gedankenspiele lassen nur einen Schluß zu: Wenn wir uns keine qualifizierte Überwachung leisten wollen, machen wir eben jeden zum Lebensmittelkontrolleur, der sich dazu berufen fühlt. Irgendwas bleibt ja immer hängen…

Symbolpolitik und Prangermentalität: Alternativen für den Verbraucherschutz

Die Zitate stellen den Sachstand der politischen Diskussion Mitte Juni dar. Sie sollten eigentlich nicht nur in der Gastronomie, sondern im gesamten Lebensmittel verarbeitenden Bereich die Alarmglocken schrillen lassen, um die eigenen Verbandsvertreter aus ihrem Tiefschlaf zu erwecken.

Das darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in einem der in der Hygieneüberwachung fortschrittlichsten Länder Europas immer noch einiges zu tun gibt. Immer wieder festzustellende, auch gravierende Mängel in den Überwachungsergebnissen machen dies deutlich.

Nach wie vor aber bestehen staatliche Überwachungsmaßnahmen für die Einrichtung eines Gastronomiebetriebs nur dann, wenn Alkohol ausgeschenkt wird, während praktisch jeder kochen darf, was und wie er will. Verpflichtende Schulungs- und Bildungsmaßnahmen durch externe Sachverständige im Bereich der Küchenhygiene sind kaum vorgesehen. Sie werden vielmehr dem innerbetrieblichen HACCP-System zugeordnet und beschränken sich dort auf die Kontrolle der jährlich zu leistenden Unterschriften betreffs Erhalt einer „Belehrung“. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, hat es die eigentlich gestalten sollende staatliche Seite ja auch nach 10 Jahren nicht geschafft, die Worthülse HACCP weder für sich selbst noch für die betroffenen Branchen mit vernünftigen Inhalten zu füllen.

Dagegen wird ihr eine existenzbedrohende Ausgestaltung von Symbolplaketten vermutlich binnen 6 Monaten und ohne weitere Probleme gelingen. Hierzu ist nämlich weder Geld noch Intelligenz noch Gestaltungswillen nötig, sondern lediglich der politische Instinkt, wie mit möglichst eingängigem und schnellen Aktionismus Punkte in den Medien zu sammeln sind. Hier versuchen ganz offensichtlich Grundschüler, die sich in die Oberstufe verirrt haben, ihre anstehende Klassenarbeit abzuliefern, obwohl sie die Hausaufgaben der ersten Klasse noch gar nicht gelöst haben.

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One Response to “Hygiene-Ampeln im politischen Ablauf: Zum aktuellen Sachstand”
  1. [...] zur Kennzeichnung von Zusatzstoffen Hygiene-Ampeln im politischen Ablauf: Zum aktuellen Sachstand » Jun 08 [...]

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