Hausaufgaben nicht gemacht

Wie  erläutert, kann jeder Masochist in der Verordnung EU 854/2004 und ihren ellenlangen Berichtigungen nachlesen, was sich europäische Bürokraten unter einem HACCP-Konzept vorstellen. In Anbetracht der aktuellen politischen Lage ist es durchaus bemerkenswert, wie Kleinstunternehmer sich hinsetzen sollen und grübeln, an welchen kritischen Punkten ihres Unternehmens es zu Gefährdungen kommen könnte. Andererseits schadet es auch keinem.

Dieses Konzept war für die NASA entwickelt worden, um die gigantische Ablauforganisation für den Wettlauf ins All in den Griff zu bekommen. Ein vergleichbar kompliziertes und schwer zu überschauendes Unterfangen dürfte die Entwicklung der EG und des Euro darstellen. Es gäbe hier genügend kritische Punkte, die auszuarbeiten und zu überwachen gewesen wären.

So stehen wir heute vor folgender Situation: Der Kleingastronom überlegt, was er dokumentieren muss, wenn er die 2 Päckchen Sahne und 10 Schnitzel aus dem Supermarkt um die Ecke holen muss, weil er die vergessen hat. Wird die Fleischtemeperatur zu stark absinken, falls er zu lange an der Kasse stehen muss? Muss er sie messen, wenn er wieder im Lokal ist, und das Ergebnis dokumentieren? Falls sie noch zu verwenden sind, muss er den MHD-Aufkleber aufbewahren, um die Herkunft des Fleisches nachweisen zu können?

Auch nach dem Schulden-Desaster in Griechenland gibt es keine überzeugende Gefahrenabschätzung, geschweige denn die Festlegung kritischer Punkte, an denen die roten Warnlampen aufleuchten müssten (sie leuchten ja ohnehin schon auf Dauer). Der Aktionsplan, welche Maßnahmen bei welchen Warnstufen ins Haus stehen, braucht nicht erstellt zu werden. Er heißt, notfalls zahlen, bevor alles den Bach runtergeht. Es gibt nichts, was in diesem nun wirklich komplexen Gebilde auch nur annähernd an Gefahreneinschätzung und -eindämmung erinnern könnte.

Wir Gastronomen haben zwangsweise schon längst angefangen, uns mit unserem HACCP zu befassen. Die grosse Politik, die uns dieses Wunderinstrument beschert hat, hat noch nicht einmal mit der Analyse darüber begonnen, warum sie solche Konzepte nicht selbst benutzt. Von irgendwelchen Antworten wollen wir ja gar nicht reden, schließlich muss sicher erst einmal die Gründung einer Kommission diskutiert werden.

Sicher mag das polemisches Lamento sein, nachdem wir die Zeche ja ohnehin selbst bezahlen werden. Aber ist es wirklich schon zu viel verlangt, naiv zu erwarten, dass Politik und Krisenmanagement die Standards an sich selbst anlegt, die sie vom kleinsten ihrer Schutzbefohlenen erwartet?

Ein leider wieder unschönes Beispiel für diese unreflektierte Schnellschuss-Politik findet sich in der jetzt ein Jahr später stattfindenden Diskussion um die so genannten Hygiene-Ampeln.

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