Plastikkorken und Schraubverschluss - Stilfrage oder Qualitätssicherung?
Die Verwendung von Plastikkorken oder Schraubverschlüssen gerade bei teureren Weinen wurde in der Gastronomie und auch unter Feinschmeckern und Kritikern heftigst diskutiert. Bis heute herrscht großer Zwiespalt, ob das Präsentieren einer teuren Flasche Wein am Tisch des Gastes stilvoll und dem Preis entsprechend nur durch Entkorken möglich ist, also durch Entfernen eines auch vorhandenen Naturkorkens vor den Augen des Gastes. Mit vielen anderen war ich bisher der Ansicht, Qualität gehe vor Firlefanz. Wenn sich durch den Einsatz von Plastikkorken oder Schraubverschlüssen das Risiko eines verkorksten Weines ausschalten läßt, dann muss auf solche Rituale eben verzichtet werden. Gerade die italienischen Winzer sind dem ja auch zögerlich, aber zusehends gefolgt, und ich habe diese Linie auch selbst vertreten. Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 21.05.2010, versteckt unter der Rubrik “Wissen”, hat mich jetzt eines Besseren belehrt:
Naturkork ist und bleibt ein Risiko
Tatsächlich entstand wohl ein großer Teil der Probleme mit verkorksten Weinen dadurch, dass der verwendete Naturkork durch Bleich- und Reinigungsmittel verunreinigt wurde und die entsprechenden Gifte zwar in Spuren, aber ausreichend, an den Wein weitergab. Solche Mittel werden aber seit den 80iger Jahren nicht mehr verwendet. Dennoch kann der Naturkork über Regen- oder Leitungswasser auch jetzt noch vergiftet werden, genauso wie andere Stoffe oder Behälter auch, die bei der Weinproduktion Verwendung finden.
Bereits ein Milliardstel Gramm an Giftstoff auf einen Liter Wein reichen nämlich aus, um auch für den Menschen den Geschmack zu ruinieren. “Das ist so, als würde man zwei Stücke Würfelzucker im Bodensee auflösen und dann merken, dass das Wasser süß schmeckt”, zitiert die Autorin Susanne Klaiber den Schweizer Experten Frank Hesford. Da braucht es nicht viel Gift in nicht viel Regen, um eine Korkeiche zu runieren.
Plastik und Schraubverschluss schützen nicht
Das Problem ist aber, dass sich solche geschmacksvernichtenden Gifte, die Anisole, auch in Holz, Verpackungen und Produktionsanlagen ablagern und anreichern können und dann über die Luft den Wein vergiften. Der vermeintlich “saubere” Schraubverschluss versiegelt dann nur das bereits aus anderer Quelle vernichtete Produkt. ‘Wir beobachten auch mit steigendem Marktanteil von alternativen Verschlüssen so viele Korktöne wie früher, als fast ausschließlich Naturkork verwendet wurde’, berichtet dementsprechend der Önologe Volker Schäfer von der Forschungsanstalt Geisenheim in Hessen lt. SZ.
Eine schlechte Botschaft für fortschrittsgläubige Puristen wie mich. Für die Gastronomie bedeutet es die Rückkehr der Stilfrage bei der Weinpräsentation.
Naturkork bezeugt Mehrwert
Nachdem ein Naturkorkverschluss angeblich allein mit 2€ zu Buche schlägt, bezeugt demnach ein standesgemäß am Tisch entkorkter Wein wie früher eine gewisse Preiswürdigkeit. Schließlich gibt es für den Preis dieses Korkens allein bei allen Discountern bereits passable Tischweine zu kaufen.
Die Mär, bei verkorksten Weinen sei allein der Naturkork schuld, wird uns zwar noch eine gewisse Zeit erhalten bleiben, aber im Zeitalter des Web 2.0 nicht so lange, wie die Diskussion über Schraubverschlüsse angehalten hat. Es schadet also nicht, sich schon jetzt mit dieser Frage wieder zu befassen, zumindest im höherpreisigen Segment, so man es denn anbietet.
Schraubverschluss schützt nicht vor Geschmacksfehlern
Aber auch für den anderen Schwerpunkt, solide und günstige Tischweine hat dieses Wissen Konsequenzen. Auch der Schraubverschluss schützt nicht vor Geschmacksfehlern. Eine Gastbeschwerde über korksenden Wein kaltlächelnd mit dem Argument abzuschmettern, die Flasche sei verschraubt gewesen, wirkt vor diesem Hintergrund unangemessen, vor allem, weil für den Gast der Begriff “korkst” nur “unangenehmer Beigeschmack” bedeutet.
Noch schlimmer wirken sich Anisol-Vergiftungen knapp unterhalb der Wahrnehmungsgrenze aus, also quasi das Billionstelgramm. Die lassen dann den Wein “nur” fade, stumpf und bedeutungslos erscheinen, billig also. Das führt dann nicht zu einer Beschwerde, sondern lediglich zur Vermeidung eines Wieder- oder Weiterkonsums, was für Sie noch schlimmer ist.
Während Sie einen tatsächlich “verkorksten” Wein noch ersetzen können mit einer gewissen Aussicht, die nächste Flasche habe den besseren Korken erwischt, dürfte das beim kontaminierten Schraubverschlusswein nicht gelingen. Hier können Sie davon ausgehen, dass der Wein selbst angegriffen ist, und die gesamte Charge ist ein Fall für die Rückabwicklung geworden.
Vor dem Hintergrund dürfte sich eine sorgfältige Selbstverprobung Ihres Angebots und enger Kontakt zum Lieferanten wieder lohnen.
Tags: Korken, Qualität, Wein, Weinpräsentation