Sind wir hier im Kindergarten

In jedem Betrieb gibt es Reibereien, Meinungsverschiedenheiten und Animositäten auch unter dem Personal. Nicht in jedem Fall mag sich der Chef da einmischen, besonders soweit sie sich seiner Meinung nach unter dem Oberbegriff „mögen oder nicht mögen” abspielen. Überall nimmt sich der eine vielleicht zu wichtig, während ein anderer lieber überlegt im Hintergrund bleibt. Und ebenso mag ein Thema für den einen welt- oder mindestens betriebsbewegend sein, während andere einen ruhigen, eingespielten Ablauf für das Maß aller Dinge halten.

 

Dass sich der Chef nicht zwingend in die Diskussion einschalten muss, wer nächster deutscher Meister wird, liegt auf der Hand. Je näher sich die Themen aber an den eigenen Betrieb heranbewegen, desto kniffliger wird die Abwägung. Die siebte Diskussion über die Farbe der Tischdecken oder die Ausgarnierung der Teller lässt sich vielleicht noch folgenlos mit dem Hinweis auf die eigene Entscheidungsfreiheit beenden. Auch hier ist zwar zu bedenken, dass jeden Mitarbeiter eigenes Engagement frustrieren wird, wenn er es für dauerhaft unterbewertet erachtet. Eine plausible Begründung der eigenen Gegenmeinung drückt da aber zumindest aus, dass Sie sich mit der Meinung beschäftigen.

Sobald es ums Image des Betriebs geht

Als echte Handgranate können sich Streitigkeiten erweisen, wenn sich Mitarbeiter untereinander Verhaltensvorwürfe machen, die auch den Betrieb betreffen (können). Stellen Sie sich vor, ein Mitarbeiter gibt an, einen Kollegen beim Kassieren beobachtet zu haben. Er meint, dieser habe dem Gast einen Geldschein zu wenig herausgegeben. Obwohl der Kunde dies nicht bemerkt und moniert hat, fühlt sich dieser Mitarbeiter nun in seiner Ehre und in der des Hauses gekränkt. Er befürchtet, dieses unterstellte Verhalten sei kein Einzelfall und bewirke die Gefahr einer Rufschädigung, welche auch auf ihn selbst zurückfallen könnte. Der angegriffene Kollege wehrt sich natürlich vehement und unterstellt seinerseits eine absichtliche Schädigung seines Rufs, möglicherweise motiviert durch die Absicht, ihn aus dem Betrieb zu mobben. Problemlos lassen sich weitere Konstellationen für solche Differenzen erdichten.

Krisenmanagement und Personalführung sind jetzt gefragt

Ihre Lage als Chef ist jetzt schwierig, sie waren schließlich nicht dabei. Für die beiden Streithähne ist eine fast unwiderrufliche Ehrverletzung entstanden. Die alsbald zu erwartende Suche nach Unterstützung im weiteren Mitarbeiterstab könnte sich schnell zum Flächenbrand ausweiten, weil jeder der Kontrahenten  angesichts der unterstellten Betriebsgefährdung eine klare Stellungnahme provozieren wird. Ihr Eingreifen wird auch deshalb unmittelbar gefordert werden, direkt oder indirekt, ob Sie das möchten oder nicht. Allenfalls ein zufällig bereits installierter Coaching-Prozess könnte die Situation auch ohne Ihr Zutun entschärfen, der ist aber selten aktiv.

Heraushalten zerstört den Betriebsfrieden in jedem Fall

Der sicherste Weg, jetzt den Sicherungsstift aus der bereit gelegten Granate zu ziehen, ist die Pilatusmethode. Wenn Sie ihre Hände in Unschuld waschen wollen mit dem Argument, sie seien ja schließlich nicht dabei gewesen und könnten in diesem Kindergarten nicht für jeden Mist den Schiedsrichter spielen, haben Sie Ihr Betriebsklima gesprengt und zudem jede Autorität drangegeben. Jetzt wird Ihnen nämlich jede der möglicherweise bereits entstandenen Meinungskoalitionen unterstellen, Sie hätten nicht das Rückgrat, für wesentliche betriebliche Belange einzustehen. Andererseits waren Sie ja tatsächlich nicht dabei und können schlecht in eine Beweisaufnahme eintreten. Den Richter können Sie nicht geben, nicht einmal der kaukasische Kreidekreis hilft Ihnen hier weiter. Die Radikallösung, ohne weiteres Hinterfragen im Interesse des Betriebsfriedens einem der beiden zu kündigen, mag im Sinne einer Nörgler-Raus-Theorie verlockend sein, gerade wenn Sie noch andere Gründe hätten, die gegen eine der beiden Personen sprächen. Es wird Ihnen aber bei der so zugleich ins Unrecht gesetzten Meinungsfraktion auf ewig den Vorwurf der Ungerechtigkeit und betriebsblinden Selbstgerechtigkeit einbringen.

Eigene Schwerpunkte in Position bringen

Es bleibt Ihnen kaum anderes übrig, als die Kontrahenten an einen Tisch zu holen. Einzelgespräche nützen Ihnen nichts, weil eine mindestens betriebsinterne Öffentlichkeit vermutlich ja schon hergestellt ist. Hier Einzelgespräche zu führen, bringt ihnen bestenfalls den Vorwurf der Mauschelei ein, schlimmstenfalls aber den der Voreingenommenheit, je nachdem, welches Einzelgespräch beobachtet wird. Besser ist es, Sie bereiten sich in einem Gespräch mit sich selbst auf die Situation vor. Ihre Karten sind nämlich schlecht: Sie treten zwei Menschen gegenüber, für die sich die Verteidigung ihrer Position als endgültig darstellt. Beide haben sich so eingestellt, dass sie entweder Recht haben oder nicht, und dass davon auch ihre Position im Betrieb abhängt. Nicht bedacht haben beide in der Regel, dass die logische Konsequenz dieser Haltung darin besteht, dass einer von beiden aus dem Betrieb ausscheiden müsste. Sollte sich nämlich eine der beiden Versionen als tatsächlich wahr herausstellen, wären sogar strafrechtliche Konsequenzen nicht auszuschließen. Mindestens aber wäre eine betriebliche Untragbarkeit tatsächlich gegeben.

Brücken bauen, um Differenzen klären zu können

In diesem Punkt liegt ihre einzige Chance, Ihre Autorität als Betriebsleiter gerade auch im Angesicht der nicht direkt beteiligten, weiteren Mitarbeiter zu wahren. Nachdem Sie nicht wissen, wer hier im Sinne einer Gerechtigkeit Recht hat, können Sie nur Brücken bauen. Zunächst aber müssen Sie unbedingt und eindringlich deutlich machen, dass die zugrunde liegenden Vorwürfe für Sie einen hohen Stellenwert haben. Betrug am Gast ist ganz selbstverständlich untragbar, Mobbing gegen Kollegen aber genauso. Dazu gehört auch die unkontrollierte Weiterverbreitung entsprechender Vorwürfe, bevor sie Ihnen selbst zur Kenntnis gebracht werden. Nachdem diese bereits erfolgt ist, steht der Mobbingvorwurf ebenso im Raum wie die tatsächliche Anschuldigung. Damit haben Sie jedem der beiden Mitarbeiter deutlich gemacht, dass Sie ihn und sein Anliegen ernst nehmen und ein Gespräch „auf Augenhöhe” ermöglicht. Mehr können Sie aktiv bei Ihrer Informationslage auch nicht tun, aber jetzt haben Sie sich zumindest wieder in die von Ihnen auch erwartete Position als Entscheider gebracht. Sie haben deutlich gemacht, was Sie erwarten, und zwar von jedem ihrer Mitarbeiter, damit auch von den beiden Kontrahenten gleichermaßen.

Dieser Punkt ist entscheidend. Sie beziehen eine Position, was die Sachlage anbelangt, anstatt sich zurückzuziehen und den Kopf angesichts einer scheinbar unauflösbaren Situation in den Sand zu stecken. Sie beziehen aber keine Position, was die so genannte Schuldfrage anbelangt, die Sie ja ohnehin nicht klären können. Jetzt, und zwar ganz genau erst jetzt, sind Sie in der Position, Brücken zu bauen. Ein Hinweis auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen mag dabei die Bereitschaft zum vorsichtigen Einlenken fördern.

Nachdem Sie die Wichtigkeit der Themen für den Betrieb deutlich gemacht haben, können Sie auch tragfähig nachbohren, ob die vermeintliche Beobachtung aus der Ferne auch strafrechtlich ausreichen würde, einen aktiven Betrugsvorwurf zu stützen, zumal der Gast nicht protestiert hatte. Dies dürfte fraglich sein. Andererseits können Sie so auch Mobbing-Vorwürfe in einen allgemeineren Fokus stellen, indem Sie die berechtigte Besorgnis der gesamten Belegschaft vor Rufschädigung als hohes und legitimes Gut anerkennen. In Einzelfällen mag diese Sorge auch über das Ziel hinausschießen, wie es hier möglicherweise der Fall gewesen sein könnte, insgesamt aber nützt es auch einem möglicherweise zu Unrecht Beschuldigten, den ehrlichen Ruf des Hauses zu schützen. Mit etwas Schieben können Sie die verhärteten Fronten aufweichen und den Kontrahenten deutlich machen, auf welch dünnem Eis sie sich bewegen.

Autorität als Garant des Betriebsfriedens

Sie können die Situation nicht auflösen, aber Sie können sozusagen ein Stillhalten erreichen. Darin liegt für den Moment das Maximum Ihrer Möglichkeiten. Das erscheint unbefriedigend, ist aber im Vergleich zum schon aus Bequemlichkeitsgründen gerne angewandten Pilatusprinzip alternativlos, wie man heute gerne sagt. Beide Kontrahenten müssen auf diese Weise zumindest eingestehen, dass sie auch unrecht haben könnten bzw. eine übergeordnete Stelle, nach der sie sich so sehnen, dies so einschätzen könnte. Natürlich wird keiner von beiden für sich selbst von seiner Meinung abrücken, aber der moralischen Siegesgewissheit auf der Bühne der Gesamtbelegschaft ist der Boden entzogen.

Durch vernünftiges Eingreifen können Sie diese Situation entschärfen, auflösen können Sie sie andererseits nicht. Es versteht sich von selbst, dass Sie versuchen sollten, die beiden Mitarbeiter möglichst nicht in denselben Schichten einzusetzen. Es versteht sich auch von selbst, dass Sie beide Mitarbeiter zukünftig genauer beobachten werden, und möglicherweise wird sich ein Verdacht auch konkretisieren. Zunächst haben Sie aber die Chance erobert, den Betriebsfrieden insgesamt zu erhalten. Und Sie haben sich die Autorität und den Respekt erhalten, brenzlige Situationen aktiv zu gestalten. Sichern Sie das, indem Sie den Vorfall zum Anlass nehmen, in geeigneter Form allen Mitarbeitern ihre Einstellung zu beiden im Feuer stehenden Vorwürfen unmissverständlich zu verdeutlichen.

Auf diese Weise haben Sie eine eigentlich unhaltbare Position in ein Plus für ihr eigenes Standing verwandelt, ohne autoritäre Maßnahmen ergreifen zu müssen. Den Betriebsfrieden haben Sie bewahrt, dessen Zusammenbrechen ansonsten ernste Konsequenzen hätte haben können. Was Sie natürlich nicht außer Acht lassen dürfen ist, dass einer der beiden Vorwürfe berechtigt gewesen sein könnte. Dem können und müssen Sie jetzt aber in einem diskreteren Rahmen nachgehen.

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