Raucherkneipen in Bayern durch Volksbegehren bald abgeschafft?

In Bayern formieren sich die Fronten für den Volksentscheid zum Rauchverbot. Prof. Friedrich Wiebel hat rechtzeitig dazu medienwirksam für seine diversen Unterstützer eine so genannte Studie lanciert, deren Quintessenz in dem empörenden Fazit besteht, in München könne man kaum ein frisch gezapftes Bier trinken, ohne von Qualm belästigt zu werden (SZ vom 14.5.2010, angeblich auch tz). Die Grundlagen der Studie sind allerdings wenig wissenschaftlich, wie auf der Gegenplattform und vom Aktionsbündnis “Bayern sagt nein” ausführlich begründet.

Im Brustton der überraschten Empörung beklagt Wiebel weiter, dass nicht nur hier, sondern in ganz Europa trotz dort schon längst installiertem Rauchverbot frustrierte Gastwirte wieder die Aschenbecher auf die Tische stellten. Die offensichtliche Ursache, nämlich, dass dieselben überall in Europa anders nicht überleben können, ist selbstredend an den Haaren herbeigezogen, es fehlt allein an der konsequenten Durchsetzung.

Die beiderseits bekannten Argumente sollen hier nicht weiter verfolgt werden, sie finden sich gut dokumentiert nicht nur in oben verlinkten Quellen. Viele Gastwirte wie auch ihre Gäste verweigern sich schon lange resigniert der Diskussion. Hier soll ein weiterer Gedanke hinzugefügt werden, der bisher selten verfolgt wird:

Gastronomie, Sucht und soziale Kontrolle

Die Gastronomie ist eine suchtbezogene Branche, ohne Zweifel. Alkohol, Nikotin und Spielsucht haben hier eine Heimat, und ihre Betreiber leben (unter anderem) davon. Andererseits stellt die Gastronomie lediglich das Spielfeld zur Verfügung für diesen ziemlich breiten Rand unserer Gesellschaft, und das seit tausenden von Jahren. Mit demselben Argument rechtfertigen auch unsere Fernsehsender den immer höheren Grad der Volksverdummung, möchte man einwenden. Nur werden die nicht verboten, sondern beteiligen sich höchstens an der kreuzzugähnlichen Jagd, je nachdem, wo die Quote gerade herweht.

Es geht hier nicht darum, Sucht und ihre anerkannt schädlichen Auswirkungen kleinzureden. Die halbwegs legalen Drogen wie Alkohol, Nikotin und Spielsucht geben sich die Hand in ihren schädlichen Folgen, von den anderen nicht zu reden, weil sie nicht mal mehr in der Gastronomie etwas verloren haben. Es geht darum, dass die so genannte “getränkegebundene Kleingastronomie”, die jetzt quasi per Gesetz zur Rauchergastronomie gestempelt wurde, diese Suchten nicht zu verantworten hat.

In ihrem Kundenkreis versammelt sich jedoch der mittlerweile fast zur Hälfte angewachsene Teils der Bevölkerung, der nicht mehr wählen geht. Der kopfschüttelnd der Regelungswut gut organisierter Besserwisser zusieht, die über Feinstaubplaketten diskutieren, deren Erfordernis sie mit dem “green high technology”-Fünftfamilienfahrzeug erst herbeigefahren haben, während er selbst mit seinem aus Budgetgründen nicht abgewrackten Golf eben nicht mehr in die Großstadt fährt. Der dafür aber in die Kneipe geht und dort mitsamt seinen Suchten in Ruhe gelassen werden will.

Nichtraucherschutz ist etabliert

Was noch vor zehn Jahren undenkbar erschienen wäre, ist heute Realität: In der Speisegastronomie ist das Nichtrauchen allgemein akzeptierte Realität, und das ist auch gut so. Das öffentliche Leben ist rauchfrei geworden. Kein Nichtraucher muss fürchten, in einem Raum, der seinem sozialen Leben zugehörig ist, durch Qualm belästigt zu werden. Auch zum Genuss eines frisch gezapften Bieres bietet sich genügend Gelegenheit.

Allein, die rauchenden Freunde bevorzugen immer noch tolerantere Orte, um sich zu treffen, und das reizt den Fanatiker aufs Blut. Daher muss nach seiner Meinung dieser (Selbst-)zerstörungswahn an der Wurzel ausgerottet werden. Das erinnert mich an die Geschichte meiner rauchenden Lieblingslehrerin vor 30 Jahren, als die Lehrerzimmer rauchfrei wurden: “Wir haben kein Problem damit, als Raucher in eine Besenkammer abgeschoben zu werden.. Das Problem besteht darin, dass es dort einfach viel lustiger ist, und die motzenden Kollegen alsbald nachkommen. Sie lassen sich in unserer Besenkammer nieder, weil die Stimmung dort besser ist. Und kaum haben sie sich nach einigen Monaten festgesessen, fangen auch dort die Beschwerden über den Rauch von vorne an…”

Das Beispiel mag abgedroschen wirken, nur beleuchtet es den fanatischen Kreuzzug mancher Nichtraucheraktivisten noch immer. Die übersehen aber einen über alle Zeiten in jeder Gesellschaft geltenden Faktor:

Nur soziale Kontrolle kann Sucht kontrollieren

Gastronomie ist immer der Ort gewesen, an dem die heranwachsende, protestierende und probierende Generation ihre ersten Erfahrungen mit Sucht gemacht hat. Solange diese aber dort in Gesellschaft älterer und nicht erziehungsverpflichteter Menschen stattgefunden hat, waren sie noch unter sozialer Kontrolle und die ganz überwiegende Mehrheit sozial verbundener Gastwirte hat darauf geachtet, dass diese auch wirkt. Heutige Phänomene wie Komasaufen, von denen die Gesellschaft angeblich so vollkommen überrascht wird, gründen unter anderem darin, dass sich heutige Jugendliche den Besuch einer Kneipe wie früher schlichtweg nicht leisten können. Die Flasche Wodka zum Vorglühen für alle kostet ja auch gerade mal soviel wie ein Bier in der Kneipe. Und im sozialen Druck der abgeschlossenen Jugendgruppe gibt es eben kein Stop-Signal.

 

An der Existenz dieses über alle Gesellschaftsschichten existenten Problems, in allen Medien erschrocken kommentiert, zeigt sich überdeutlich, dass sich den Sucht- und Probierproblemen nicht mit einfachen Verbots- und Ausgliederungsrezepten begegnen lässt. Sie vernichten nur die letzten, verbliebenen Orte, an denen sich Sucht noch durch Einfluss auf Augenhöhe mit den Probierenden beeinflussen lässt.

Mögen die Fanatiker diese letzten Orte sozialen Friedens auch noch zerregeln und zerstören, diese Schlunde der Vorhölle. Ihre Kinder werden es trotzdem ausprobieren, je verbotener, desto lieber. Die Statistiken über das Rauchverhalten von Jugendlichen sprechen immer noch eine deutliche Sprache. Nur dann wird es niemanden mehr geben, der noch ein vernünftiges Auge darauf werfen kann, und jede Form von Sucht und Wahnsinn wird hinter dem Gebüsch im Stadtpark stattfinden. Dort kann sie kein gut gemeinter Rat eines Erwachsenen mehr erreichen, der als einfacher, weil nicht erziehender Gesprächspartner von ihnen akzeptiert werden würde. Die eigenen Mutrituale nehmen dann eben ungebremst ihren Lauf. Ich wünsche jedem Fanatiker viel Glück in diesem Bereich der Erziehung, den er auch beim besten Willen nicht beeinflusen können wird.

Der Gegenwind flaut ab

Die meisten Kleingastronomen wie ihre Gäste haben die Diskussion satt. Sie haben sich mit einer Gesellschaft abgefunden, die in einfach regelbaren Kleinbereichen immer intoleranter wird, die ganz offensichtlich zunehmenden inneren Probleme aber konsequent ignoriert. Komasaufen und zunehmende Gewaltbereitschaft sind dabei nur die offensichtlichsten Symptome.

Ein endgültiges und totales Rauchverbot wird für die Mehrzahl der so genannten getränkegebundenen Kleingastronmomen ohnehin nur der letzte Sargnagel sein, der ihnen die Entscheidung über die endgültige Aufgabe des Betriebs aus der Hand nimmt. Ihre Gäste schütteln ein weiteres mal mit dem Kopf, rauchen und trinken eben nur noch daheim, wo man es sich gerade noch leisten kann und werden das Heer der Nichtwähler und gesellschaftlich Abwesenden ein weiteres Mal erhöhen.

Der Volksentscheid in Bayern ist mittlerweile Geschichte. Meine Meinung dazu finden Sie hier.

Weiterführende Gedanken zum Thema Gastronomie als öffentlicher Raum, der für Nichtraucher geschützt werden müsste, hier.

 

 

 

 

 

 

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3 Responses to “Wenn der letzte Baum gefällt ist”
  1. Christoph sagt:

    Sehr gute Analyse!
    Kleine Korrektur im ersten Abschnitt: Antiraucher und Pharmafreund Wiebel vertritt natürlich keine der “Nein”-Initiativen zum Volksentscheid, sondern hier das “Aktionsbündnis Volksentscheid Nichtraucherschutz” (bzw. weitere Organisationen).

  2. martini sagt:

    Herzlichen Dank für den ersten Kommentar auf meinem noch jungen Blog wie auch für das allgemein grosse Interesse. Ich habe am 3.6.10 den sachlichen Fehler bei der Verlinkung korrigiert, für den ich trotzdem um Entschuldígung bitte. Jetzt stimmen die Fronten wieder. Am Inhalt des Artikels und seines Anliegens, die grundsätzliche Diskussion auf die gesellschaftliche Toleranz als Grundlage des Zusammenlebens zu lenken, ändert das in der Sache nichts.
    Nachdem ich den Wortspielen jetzt schon selbst aufgesessen bin: Toleranz und Erhalt einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung erfordert wählen gehen, auch wenn´s schwerfällt und mit NEIN stimen!

  3. Lilly Becker sagt:

    Normalerweise kommentiere ich nicht in Blogs. Aber hier muss ich mal loswerden: Gut geschriebener Artikel!
    Gruß

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