Grenzenloser Internetpranger ist zurückgezogen

Das Ministerium für Verbraucherschutz teilt mir mit, dass die von mir im Vorartikel angegriffene, geplante Änderung des § 40 LFGB bezüglich sehr weitgehender Veröffentlichung sämtlicher Mängelmeldungen der Lebensmittelüberwachung mittlerweile überdacht worden ist. Nach einer jetzt überarbeiteten Beschlussvorlage sollen solche Meldungen erst dann veröffentlicht werden müssen, wenn ihr Zustandekommen ein Verwarnungsgeld von mindestens 350 € rechtfertigt.

Mein Anspruch bestand nie darin, echte Hygienemängel verschleiern zu wollen. Vor unsauberen Küchen muss nicht nur der Verbraucher, sondern auch jeder hart arbeitende Kollege geschützt werden. Ein verlegter Lieferschein, fehlende Unterschriften unter Belehrungs- und sonstige Protokolle bei ansonsten sauberer Küche oder oft auch aus Unwissenheit unterlaufene Deklarationsfehler in der Speisekarte machen jedoch noch keinen Hygienemangel aus, sondern bezeugen nur aufs Neue die Hilflosigkeit gerade der Kleinbetriebe angesichts eines Wildwuchses einschlägiger Vorschriften. Insoweit wird mit dieser im aktuellen Entwurf deutlich konkreteren Sprachregelung ein Kompromiss gefunden, der beide Aspekte berücksichtigt und vor allem auf Wiederholungstäter abzielt.

Anscheinend haben die bereits dargestellten Einsprüche der Wirtschaftsminister hier ein Nachdenken erreichen können ebenso wie die stille Arbeit der Verbände, von deren Vorhandensein ich mich bei der Nachrecherche im Gegensatz zur geäußerten Kritik durchaus überzeugen konnte. Allerdings bleibt eigene Nachdenklichkeit bezüglich des stillen Wirkens im Hintergrund bestehen, selbst wenn sie hier einen ersten Erfolg verbuchen konnte:

Hygiene-Ampeln oder Barometer sind noch nicht vom Tisch

Selbst dieser Kompromissvorschlag bezüglich der allgemeinen Regeln zur Verbraucherinformation muss nun zunächst noch den zuständigen Bundestags-Ausschuss passieren. Angesichts der dort teilweise veröffentlichten Meinungen der Abgeordneten darf an einer angemessenen Bereitschaft zur sachlichen Reflexion durchaus vorerst noch gezweifelt werden. Zudem betrifft der ganze Vorgang zunächst nur die auch von mir kritisierte, pauschale Holzhammermethode bei den Grundregeln für eine Verbraucherinformation. Das als zusätzliches Informationsinstrument angedachte Modell einer Hygiene-Ampel oder Hygiene-Barometers ist damit noch nicht vom Tisch, die Smiley-Regelung also weiter in der Diskussion.

Zu diesem Thema gelten die schon dargestellten Sachargumente weiter. Allerdings kommt hier zunehmend eine Grundsatzdiskussion zum Tragen, der sich jeder Einzelne stellen sollte und die offen und nicht still ausgetragen werden müsste, weil sie zukünftig jeden Bereich der Gesellschaft betreffen wird. Nachwachsende Generationen internetgläubiger Menschen verwechseln sicher nach bestem Gewissen die Veröffentlichung am liebsten jeden Verwaltungshandelns mit dem Begriff „Transparenz“. Beliebtes Totschlag-Argument ist dabei, wer sich nichts zuschulde kommen lässt, habe ja nichts zu befürchten und die Sorge vor dieser Transparenz hindere potentielle Täter schon präventiv an ihrem schändlichem Tun.

Mit demselben Argument wäre beispielsweise die Veröffentlichung von ertappten Alkoholfahrten zu fordern oder am Besten gleich die Publizierung des Bundeszentralregisters für Führungszeugnisse. Oder, weniger weit hergeholt, Veröffentlichung der Arbeit der Baukontrolleure, um vor scheinbaren Bauschlampereien zu warnen.

In jedem Fall geht es um vorgebliche Transparenz bezüglich der Überwachungsergebnisse von Behörden, die wir alle uns leisten, damit  dazu ausgebildete Fachleute ein immer breiter werdendes Spektrum von Wirtschaft und öffentlichem Leben auf unerwünschte Fehler hin überprüfen. Weil dieses Spektrum so vielfältig geworden ist, leisten wir uns diese Fachleute und haben auch bisher weitgehend auf ihre Ausbildung und ihr Bewertungsermessen vertraut. Jetzt soll diese Fachbewertung oder auch für das Beispiel der Alkoholfahrt die korrespondierenden Urteile der Justiz durch „Transparenz“ ersetzt werden. Sie wird so durch eine öffentliche Anschauung ersetzt, welche die der Einzelentscheidung zugrunde liegenden, fachlichen Maßstäbe selten erkennen können wird. Wäre dem nämlich so, könnten wir uns die qualifizierte Verwaltung zukünftig wieder sparen und sie durch Blockwarte ersetzen.

„Verwaltung durch Information“ über Hygiene-Barometer ist ein Irrweg

Dr. Werner Wolf, Präsident des BLL hat diese Denkart zutreffend als „Verwaltung durch Information“ bezeichnet. Allein die Drohung des Internetprangers soll sozusagen Verwaltungshandeln obsolet machen oder zumindest in seiner Wirkung unterstützen. Solche in unserer Branche besonders von Organisationen wie foodwatch vorgetragenen Argumente zielen in diese Richtung und vertrauen auf die allmächtige Selbstregelung des Internets. Interessanterweise lehnen aber gerade solche Organisationen wie die gesamte, dahinter stehende Denkrichtung eine öffentliche Kontrolle ihrer „Produkte“, nämlich der ins Netz eingespeisten Informationen kategorisch ab. Im Extremfall reicht diese Prinzipientreue bis hin zur Ablehnung von Seitensperrungen wegen Kinderpornographie (was nichts mit foodwatch zu tun hat).

Argumentiert wird natürlich, dass im öffentlich-virtuellen Raum Internet jeder die Möglichkeit hätte, Gegenmeinungen zu veröffentlichen, was doch Kontrolle genug sei. Foodwatch hat zum erwähnten Schlagwort „Verwaltung durch Information“ einen öffentlichen Brief verfasst, der angesichts seiner Selbstgewissheit meines Wissens nicht beantwortet wurde. Nachdem es die laufende Thematik betrifft, habe ich mir eine eigene Antwort erlaubt und bin nun sehr gespannt darauf, wie „Transparenz“ bei foodwatch auf seinen eigenen Seiten gehandhabt wird.

Jedenfalls hat sich bereits gezeigt, dass der virtuelle Raum Internet genauso groß und für den Verbraucher unüberschaubar geworden ist wie die reale Öffentlichkeit. Vor falschen oder mindestens fachlich unkommentierten Informationen ist er dort noch weniger geschützt als in der Realität. Diese klinken sich dann ein in das Sammelsurium an so genannten Bewertungsportalen, die schon ohne Verwaltungsrealität die ganze Branche überziehen, von manchen Gastronomen als Pseudowerbung benutzt werden ebenso wie von verprellten Kunden als Racheplattform. Dass die ganz überwiegende Mehrzahl dieser Portale schlicht nur der Werbeplatzierung der Betreiber dient, scheint die „Transparenzler“ nicht zu stören.

Zurück bezogen auf die aktuelle Diskussion bleibt zu erwähnen, dass sowohl Juristen der beteiligten Ministerien wie auch Spitzenvertreter der Verbände mir gegenüber erklärt haben, dass sie die geplanten Modelle nach wie vor für zumindest rechtlich bedenklich halten. Aus diesem Grunde bietet beispielsweise bietet der Zentralverbandseinen Bäckern nach eigenen Eingaben bereits ein Netz von Fachanwälten an, die im Streitfall kompetent helfen können.

Die Gastronomie als erste Zielscheibe muss die gesellschaftlichen Grundlagen ernst nehmen

Mancher Leser mag sich über die grundsätzliche Breite dieses Artikels wundern. Die dargestellte Denkrichtung greift aber jetzt als erstes die Gastronomie an, sei es, weil diese so hübsch plakativ an jeder Straßenecke präsent ist, sei es, weil sie für wehrlos, zersplittert oder zu bedeutungslos für Tourismuswirtschaft und zusammenhängende Arbeitsplätze gehalten wird.

Tatsächlich scheuen die meisten unserer Berufsverbände zugunsten des ja tatsächlich vorerst erreichten Zwischenziels eine öffentliche Grundsatzdiskussion und diese Haltung ist mindestens nachvollziehbar. Dem erwähnten Totschlag-Argument „Wer nichts zu verbergen hat“ ist bei der auf kurzlebige Schlagzeilen erpichten Medienlandschaft öffentlich tatsächlich wenig entgegen zu setzen, so dass Argumente im Hintergrund oft mehr bewirken mögen.

Auf Dauer aber wird nicht nur unsere Branche als Versuchskaninchen solchen Bestrebungen nicht entgehen und daher sollten gerade wir selbst diesen Ansätzen auf einem allgemeineren Niveau entgegentreten. Es geht eben nicht allein darum, einzelnen hygienischen Kleinkriminellen das Handwerk zu legen, was eine Lebensmittelüberwachung schon bisher tut, sondern darum, ob der Weg „Information statt Verwaltung“ gesellschaftlich der richtige Weg ist und auf diesem Level können wir uns wirkungsvoller wehren als vor dem plakativen Horrorbild des böswillig seine Kunden betrügenden Gastronomieschleichers.

Wir Gastronomen sollten nicht vergessen, dass wir eine gute mediale Angriffsfläche bieten, weil uns jeder kennt. Im Umkehrschluss bedeutet das, wir kennen auch viele Menschen, deren Vertrauen und Gesprächsbereitschaft wir erarbeitet haben. Es wäre an der Zeit, diese zu nutzen, um solche Grundsatzdiskussionen mit in Gang zu setzen, egal, wie Sie persönlich aktuell zu dieser Frage stehen. In jedem Fall kann sie schon bald auch Sie selbst persönlich und wirtschaftlich treffen.

Ich und viele meiner Generation haben Orwells „1984“ noch in der Schule gelesen und uns später mit den Fragen einer damaligen Volkszählung auseinandergesetzt, die heutzutage jeder Hacker beliebig im Handstreich erledigt. Den Gedanken, dass wir über Videoüberwachung und Handy-Ortung eigentlich überall erfassbar sind, kennen wir nur aus Krimis, verdrängen aber ihre Realität. Ob wir uns in Zukunft samt unseren Betrieben auch noch einer total transparenten Überwachung im Internet aussetzen wollen, sollten wir uns nach meinem Dafürhalten aber schon noch überlegen. Wenn hier die Schleusen einmal geöffnet sind, fließt das Wasser bis ganz nach oben.

„Verwaltung durch Information“ geht auch anders

Vor diesem Hintergrund stellt sich vor allem auch die Frage, ob andere Wege bereits ausgeschöpft sind. Das Fachwissen unserer Verwaltungen wurde schon angesprochen. Allerdings sollte dieses nicht allein der Kontrolle vermuteter Kleinkrimineller dienen, sondern eben vor allem auch der Unterstützung hart arbeitender Kleinbetriebe. Gerade die sind schlicht nicht mehr in der Lage, sich ausreichend über die ausufernden Vorschriften gerade der europäischen Rechtsnormen zu informieren, und hier sprechen wir ja nur über den Bereich des Lebensmittelrechts. Personal-, Steuer- und allgemeines Ordnungsrecht kommen noch hinzu, nur um die Hauptschwerpunkte zu nennen. Um den Steuerberater kommt ohnehin bereits kaum ein Kleingastronom herum, aber die Anwaltskanzlei zusätzlich kann sich keiner mehr leisten.

Überwachungsbehörde als Ansprechpartner wird nicht eingesetzt

Da bleibt die zuständige Überwachungsbehörde der einzige Ansprechpartner, wenn man sich nicht auf die teilweise vordergründig auf Profit angelegten Hilfsangebote einzelner Anbieter im Internet verlassen mag oder kann, die in diesem Wildwuchs einfache und schnelle Hilfe anbieten. Nachdem die europäischen Bürokraten HACCP als Zauberwort erfunden hatten, brauchte die Branche ebenso wie die zur Überwachung zuständige Behörden fast zehn Jahre, um diesen an sich richtigen Grundgedanken nach und nach mit Leben zu füllen und zu konkretisieren. Wer sich heutzutage die Mühe macht, in den Tiefen der Internetauftritte der Landesverbände der Lebensmittelkontrolleure zu suchen, findet hier sehr hilfreiche Hinweise.

Diese allerdings sind eigentlich der Weiterbildung der Kontrolleure gewidmet und teilweise auch für diese gesperrt. Um sie auf eine vernünftige betriebliche Praxis der Eigenkontrolle für den eigenen Betrieb umzumünzen, bedarf es noch einiges an Vorstellungsvermögen und dem Gastronomen vom Berufszugang her gar nicht abverlangtem Fachwissen. Nach ausführlicher Wühlarbeit im Internet kann man hier jedoch Perlen finden.

Es fragt sich aber, warum der heilige Gral, der Kern des Wissens, den Hygiene-Barometer später so plakativ darstellen sollen, so tief vergraben liegt, dass ihn nur verbissene Schatzsucher mit sehr viel Freizeit heben können. Alle Verbraucherschutzbehörden der Länder haben die Schulung als Konsequenz ihrer Überwachungsbemühungen auf ihre Fahnen geschrieben. Nur konkrete Hilfen gerade für Kleinunternehmer sucht man auf ihren Seiten vergebens, obwohl aus ihren Jahresberichten eindeutig hervorgeht, dass es genau bei solchen Kleinigkeiten am meisten mangelt. Es ist mag vordergründig wirkungsvoll sein, der Presse dann die sieben Zeilen Horrorszenario aus einem 120-Seiten-Bericht zuzuspielen. Die Lage der Branche verbessert es weder für Betreiber noch für die Kontrolleure.

Die Kosten, aus diesem vorhandenen Informationspool mit etwas Intelligenz und Kreativität ein aussagefähiges Schulungsbeispiel für Kleingastronomen zu erstellen, dürften sich bei einem Bruchteil des Mehraufwands für Hygiene-Ampeln bewegen. Die Lasten bewegen sich bei Internet-Betreibern, die ihr Geld bisher mit dem Vertrieb aussageloser Pseudo-Vordrucke ohne jede Weiterbildung verdienen. Wer Gesetzesgrundlagen für Kleinunternehmer schafft, die ihren Beruf erklärtermaßen ohne besondere Vorbildung ausüben dürfen sollen, sollte auch dafür Sorge tragen, dass diese Vorschriften den Adressaten so erreichen, dass er sie verstehen kann. So könnte „Verwaltung durch Information“ auch funktionieren.

Rolle des Internets für Schulung und deren Nachweis neu durchdenken

Dabei könnte das Internet sogar hier eine ganz andere Rolle spielen. Im Steuerwesen ist die zwangsweise Beteiligung der Unternehmer am elektronischen Verkehr schon gang und gäbe geworden. Über diesen Weg eine ähnliche geartete Weiterbildung zumindest bestätigen zu lassen, kann nicht besonders schwierig sein. Sie böte eine Chance und wäre sogar bei Nichtwahrnehmung weit weniger Makulatur als die geltende und amtlich zu kontrollierende Verpflichtung des Unternehmers, sich eine jährliche Hygieneunterrichtung der Mitarbeiter per Unterschrift bestätigen zu lassen (deren Fehlen wiederum eine Ordnungswidrigkeit darstellen kann, unbeschadet ihrer tatsächlichen Qualität).

Mit etwas gutem Willen, Erkenntnissammlung und Kreativität ließen sich hier bei geringen Kosten ganz wesentliche Fortschritte für den Verbraucherschutz erreichen. Im Gegensatz zum sicher hehren Anspruch der foodwatch-Aktivisten stellt die große Masse der Kleingastronomen nämlich kein Haifischbecken dar, dessen einzige Gewinnerwartung auf gezielter Verbrauchertäuschung beruhen würde. Vielmehr mangelt es an Information und Schulung oder der Verpflichtung dazu. Am Ende ist nämlich sogar dem dümmsten Würstlbrater klar, dass seine Qualität den Ausschlag für den Erfolg bietet.

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