Buchbesprechung: Anthony Bourdain „ein bisschen blutig“
Posted by gastromartini in Gastronomie in der GesellschaftNeue Geständnisse eines Küchenchefs ?
So untertitelt der Blessing-Verlag die von ihm verlegte deutsche Fassung des neuesten Bourdain. Damit bezieht man sich natürlich auf seinen Welterfolg von 2001, in dem er Leben und Leiden piratengleich gegen Frust, Überforderung und sadistische Küchenmeister kämpfender Küchenbrigaden mit seinem authentischen Sprachstil immer wieder auf einen Punkt brachte, in dem sich vermutlich der größte Teil der weltweit in der Gastronomie Beschäftigten in vielen kleinen Beispielen wieder finden können. Ich habe es jedenfalls damals wie heute genossen. Andere haben mit scheinheiliger Empörung auf die schonungslose Darstellung der Zustände auch in hochklassigen Restaurantküchen reagiert und den Nestbeschmutzer beschimpft, was jedoch seine Quoten nur weiter nach oben trieb.
Der Küchenchef ist Teil der amerikanischen Medienwelt geworden
Zehn Jahre später ist Bourdain natürlich kein Küchenchef mehr, vielmehr hat er seinen Platz in der Mitte der amerikanischen Medienwelt gefunden und reist um die Welt, um Hammelhoden, Heuschrecken oder andere regionale Spezialitäten zu verkosten. Wer also eine weitere Auflage von Sensationsenthüllungen aus dem Getriebe eines Gourmetrestaurants erwartet, wird enttäuscht sein. „Geständnisse“ betreffen allenfalls nebenher den Werdegang des Menschen Anthony Bourdain vom Kleinstadtjungen zum drogenabhängigen Gastro-Junkie, hinauf zum Medienstar und auch wieder herunter hin zum sorgenden Familienvater. Die mag man interessant finden, weltbewegend sind sie jedenfalls nicht.
Auch ansonsten findet sich wenig Weltbewegendes in seinem Buch, gerade für Europäer. Seine eher unstrukturierte Sammlung einzelner Beiträge behandelt in weiten Teilen Personen und Umstände der US-amerikanischen Restaurant- und Gastro-Medienszene, die den wenigsten seiner hiesigen Leser im Einzelnen geläufig sein dürfte. Auch wenn Bourdain keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen so genannte food-blogger macht, wirkt sein Buch über weite Teile wie der Buchabdruck einzelner Artikel eines gastrosophischen Blogs der letzten Jahre.
Schon diese neumodische Begriffskreuzung aus Gastronomie und Philosophie würde ihn auf die Palme bringen, wie mich auch. Gastronomie ist Handwerk und Philosophie sollte vielleicht Visionen entwickeln über menschliches Zusammenleben. Andererseits erscheint auch diese Rezension unter der von mir geschaffenen Rubrik „Gastronomie und Gesellschaft“ und wie ich findet auch er einige Aspekte dieses Zusammenhangs bemerkenswert. Unter diesem Gesichtspunkt ist ein großer Teil seiner 400 Seiten auch für den Europäer durchaus mit Genuss zu lesen, vor allem, weil er die sprachliche Deutlichkeit des Küchenjargons nicht verloren hat. Wer zwischen den Zeilen liest und die amerikanischen Namen einfach weglässt, dem werden die hiesigen Parallelfiguren und Analogien unschwer vor dem geistigen Auge erscheinen.
Die Wut über deren Auswüchse bleibt bis heute
In den Buchpräsentationen plakativ beworben werden dabei Thesen wie „Reiche essen anders und werden vollkommen zu Recht abgezockt“. Natürlich bereichern entsprechende Geschichtchen das Lesen mit schmunzelnder Häme. Wenn aber seine Ansichten zur Sinnhaftigkeit 20gängiger Degustationsmenüs in der Frage gipfeln, ob der Besuch eines Restaurants nicht in erster Linie „einfach Spaß machen sollte“, könnten sie auch manchen hiesigen Gastronomen wieder zum Nachdenken über sein Konzept bringen. Seine ausführliche Darstellung der Entwicklung des US-Kulturguts „Hamburger“ einerseits zu vorgefertigter Abfallramschware für arme Leute, andererseits im Gefolge überstandener Finanzkrisen umgekehrt zu einem 16$-Luxusprodukt durch von selbst ernannten Kochgurus ausgerufene „Zurück-zu-den-Wurzeln“-Bewegungen, das ist für jeden Gastronomen lesenswert und lässt für unsere Currywurst das Schlimmste befürchten.
Bourdain ist ein klarer Verfechter des Respekts vor überlieferten regionalen Techniken der Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln, was er als weltreisender Koch ja auch sein muss. Der betrifft allerdings auch die Produktion von Lebensmitteln im eigenen Land, und da geht es in Amerika mindestens so skandalös zu wie hierzulande. Seine Gedanken dazu sind sicher nicht revolutionär, aber es macht Freude, der Wut des Autors folgen zu können nach dem Motto: „Genau, endlich sagt es mal einer“. Sein persönlicher Ansatz, die kleine Tochter vor dem Ronald-McDonald-Syndrom zu bewahren, sollte in keinem Kindergarten dieser Welt fehlen.
Besondere Befriedigung empfinde ich selbst dabei, wenn sich diese Wut ungezügelt auf die Erweckungsbestrebungen bestimmter Glaubensbruderschaften richtet, die aus ethischen oder vorgeschobenen Begründungen des Gesundheitsschutzes ihre persönlichen Ernährungsgewohnheiten mit allgemeiner Lebensmittelsicherheit gleichsetzen und am Liebsten die Verbotskeule hervorzaubern würden. Seine persönliche Liste der Helden und Schurken ist so zwar sehr amerikanisch, lässt sich aber problemlos übertragen. Ganz im Gegensatz zur überwiegend kolportierten Darstellung wird übrigens dort Jamie Oliver als einziger Europäer als „Held“ geführt, weil er sich unbeeindruckt der andauernden Anfeindungen für ein Schulessen einsetzt, das aus Lebensmitteln hergestellt wird.
Seine Tipps für angehende Köche mögen auch in Europa Gültigkeit besitzen, wer aber vom Gastro-Virus infiziert ist oder sich vor Ansteckung fürchtet, für den können nach wie vor allein die ursprünglichen „Geständnisse eines Küchenchefs“ Bestärkung oder Heilmittel sein. Bourdains eigener Rückbezug auf seinen Erstling, die Darstellung der eigenen Entwicklung sowie seiner Protagonisten wirkt etwas altersweise. Sicher mag sich die Gastronomie allenthalben weiterentwickelt haben und der im vorliegenden Band verschämt zurückgezogene Ratschlag, Montags keinen Fisch im Restaurant zu essen, Ursache der meisten Schmähungen gegen seinen Erstling, mag tatsächlich keine ernsthafte Warnung mehr begründen.
Die Bibel des Gastro-Virus erweitert durch Kaminfeuer-Lektüre
Dass Gastronomie handwerkliche und meist schlecht honorierte Knochenarbeit bedeutet, gilt allerdings nach wie vor. Dies blitzt auch im vorliegenden Band wohl immer wieder durch. Wer jedoch zu dieser Grundwahrheit ausgemalte Bilder als Bestätigung sucht, ist mit Bourdains Einstiegserfolg (bei amazon:Geständnisse eines Küchenchefs: Was Sie über Restaurants nie wissen wollten)
auch jetzt noch besser bedient, der in meinen Augen gerade für junge Kollegen immer noch Brisanz und Aktualität besitzt. Wer wie Bourdain und ich seitdem in der Gastronomie 10 Jahre älter geworden ist und es sich leisten kann, auf dem Sofa gemütlich den Gedanken und der Wut eines Kollegen zu folgen, wird auch an seinem Folgeband
Spaß und Bestätigung finden: Eine Revolution ist hier zwar nicht zu erwarten, aber eine nette Breitseite gegen all diejenigen, die uns pausenlos eine solche vorgaukeln oder vorbeten wollen.